Archiv des Autors: Dr. Rainer Zerbst

Alle meine Lieben: Künstler auf der Suche nach Familie

Dem 19. Jahrhundert galt sie als Urbild heimischer Geborgenheit – die Familie. Für die 68-Generation war sie der Inbegriff der Spießigen. In den Jahrzehnten steigender Scheidungsraten wurde sie nicht selten totgesagt, bei derzeit sinkenden Scheidungsquoten scheint sie wieder aufzuleben, ist aber längst nur noch eine Form engen Zusammenlebens neben Patchwork-, Regenbogen- oder multinationaler Familie. Eine Ausstellung in der Villa Merkel in Esslingen zeigt auf, wie Künstler von heute auf das Phänomen reagieren.

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Duchamp und die Folgen: Das Readymade macht Geschichte

Es war eine der folgenschwersten Revolutionen in der Geschichte der Kunst. 1913 montierte Marcel Duchamp ein handelsübliches Fahrrad-Vorderrad auf einen Hocker und erklärte es zum Kunstwerk. Es war das erste Readymade der Kunstgeschichte. Ein Jahr darauf tat er dasselbe mit einem ebenfalls überall erhältlichen Flaschentrockner. Das war der Beginn der Konzeptkunst, vor allem revolutionierte es den Kunstbegriff, denn ein Kunstwerk musste seither nicht mehr durch das Genie und die Fertigkeit eines Künstlers hergestellt werden, es reichte das Diktum: Dies ist Kunst. Das Positive für die nachfolgenden Künstler: Alles konnte in ihre Kunst eingehen. Die Kehrseite der Medaille: Was immer sie an Gebrauchsobjekten verwendeten – sie gerieten in Gefahr, epigonenhaft zu wiederholen, was Duchamp erreicht hatte. Eine Ausstellung in der Kunsthalle Göppingen zeigt, wie Künstler bis heute dieser Gefahr entgehen konnten.

 

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Wandverkleidung als Kulturträger. Die altrömischen Campana-Reliefs im Schloss Hohentübingen

Archäologie ist häufig „Stückwerk“. Nicht immer hat der Forscher das Glück, ganze Statuen zur Verfügung zu haben, erst recht nicht Objekte in dem Lebenszusammenhang, in dem sie den Griechen oder Römern vertraut und geläufig waren und der zur möglichst detaillierten und anschaulichen Rekonstruktion der Lebensgewohnheiten nötig wäre. Das gilt auch für die so genannten Campana-Reliefs, so benannt, weil ein gewisser Giampietro Campana ihnen als einer der ersten seine Sammelleidenschaft und sein wissenschaftliches Interesse gewidmet hat. Sie finden sich in renommierten Häusern wie dem British Museum und dem Louvre – und im Archäologischen Institut der Universität Tübingen. Lange Zeit als irrelevant abgetan, gerieten sie erst vor einem halben Jahrhundert in den Fokus der Wissenschaft – und derzeit in eine Ausstellung im Tübinger Schloss.

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Herakles kämpft gegen die Hydra von Lerna. Foto: Thomas Zachmann

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Cancan im Schongang. Armin Petras contra Offenbach

Ein Orpheus, der nicht um seine verstorbene Eurydike trauert, eine Eurydike, die sich Schäferstündchen fern des Ehebetts sucht, ein Jupiter, der von seinen Untergöttern verlacht wird, eine Oper, die alle Opernuntugenden dem Spott aussetzt – Jacques Offenbach hat mit seiner „Opéra bouffe“ Orpheus in der Unterwelt all jene Traditionen und Werte, die die gesittete bürgerliche Welt in Ehren hielt, durch den Kakao gezogen und genau damit ein unsterbliches Meisterwerk geschaffen, sofern ihm nicht auf der heutigen Opernbühne der Garaus gemacht wird, denn Offenbach ist witzig, sein Witz aber sehr schwer in Szene zu setzen. Für die Oper Stuttgart hat sich jetzt der Stuttgarter Schauspielintendant Armin Petras am geistreichen Spiel versucht.

Orpheus in der Unterwelt von Jacques Offenbach in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln 4. Dezember 2016 Musikalische Leitung: Sylvain Cambreling, Hans Christoph Bünger Regie: Armin Petras Choreografie: Berit Jentzsch Bühne: Susanne Schuboth Kostüme: Dinah Ehm Video-Design: Rebecca  Riedel Licht: Reinhard Traub Chor: Christoph Heil Dramaturgie: Malte  Ubenauf Auf dem Bild: André Jung (Styx) Foto: Martin Sigmund

André Jung (Styx). Foto: Martin Sigmund

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Der Spiegel als Bild: Reflexionen im Schauwerk Sindelfingen

Eines der berühmtesten Spiegelbilder in der Literatur ist tödlich. Fasziniert von der Schönheit seines Antlitzes, das ihm die Oberfläche eines Sees reflektiert, erkennt der junge Narziss die Unerfüllbarkeit dieser Liebe. So erzählt es Ovid in seinen Metamorphosen, so hat es Caravaggio im 16. Jahrhundert im Bild festgehalten und im 20. auch Salvador Dalí. In einer großen Ausstellung im Sindelfinger Schauwerk könnte der Besucher derzeit in Gefahr geraten, auf den Spuren dieses Narziss zu wandeln, denn hier dreht sich alles um die Spiegelung.

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Grau in Grau. Die Raumwelten des Ben Willikens

Es kann ein Symbol für Sachlichkeit sein, für Würde und Neutralität, aber auch für Tristesse, Trübsal, Einsamkeit: Grau ist vielseitiger, als man landläufig meint, es kann positive Konnotationen in sich tragen, wird aber meist negativ gesehen als grauer Alltag, graue Maus, graue Theorie. Für Ben Willikens wurde es die Farbe seines Künstlerlebens; seit den 70er Jahren ist Grau geradezu zum Markenzeichen seiner Malerei geworden – die Farbe Grau und das Motiv Raum. Die Kunsthalle Weishaupt hat ihm jetzt in Ulm eine umfangreiche Retrospektive gewidmet.

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Raum 608: Abendmahl, 2009. Sammlung Siegfried und Jutta Weishaupt © VG Bild-Kunst, Bonn 2016

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Ein Plädoyer fürs Theater, welcher Spielart auch immer: Sebastian Hartmann inszeniert den Bühnenklassiker „Der Raub der Sabinerinnen“

Er gilt als Inbegriff des Schmierenkomödianten, der bedenkenlos Frauenrollen in Männerpartien umschreibt: Emanuel Striese, Direktor einer Wandertheatertruppe im „Raub der Sabinerinnen“ von Franz und Paul von Schönthan. Er ist aber auch ein alter Theaterfuchs, der weiß, das nicht durchfallen kann, was gestrichen ist. In Halle hat er es sogar zu Denkmalsehren gebracht, im Film hat ihn Gustav Knuth verkörpert. Gespielt wird das Stück meist auf der Boulevardbühne, in letzter Zeit nehmen sich aber auch die Staatstheater des Klassikers an wie jetzt das Schauspiel Stuttgart.

Der Raub der Sabinerinnen nach dem Schwank von Paul und Franz von Schönthan 18. November 2016 Regie Sebastian Hartmann Regie und Bühne: Sebastian  Hartmann Kostüme: Adriana  Braga Peretzki Licht: Lothar Baumgarte Dramaturgie: Jan Hein, Katrin Spira Auf dem Bild: Manuel Harder,  Peter René  Lüdicke Foto: Conny Mirbach Honorarfrei

Manuel Harder, Peter René Lüdicke. Foto: Conny Mirbach

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Kunst im Kopf? Georg Baselitz und Albert Oehlen im Kunstverein Reutlingen

Kunstliebhaber haben es derzeit in Reutlingen nicht einfach. Die Städtische Galerie präsentiert die Südseereise, die der Maler Max Pechstein mit seiner Frau Lotte 1913 unternahm, und will das bisher gängige Bild dieser Reise zurechtrücken. Das gelingt im Katalogbuch vorzüglich, doch die Ausstellung bleibt hinter diesem Anspruch zurück und zeigt einmal mehr Pechsteins verklärtes Südseebild. Beim Kunstverein Reutlingen könnte sich der Besucher sicher wähnen. Dem Verein gelang es, mit Georg Baselitz und Albert Oehlen zwei wichtige Vertreter der Nachkriegskunst zu engagieren, doch wer bei Baselitz dessen auf dem Kopf stehende Figuren erwartet, wird enttäuscht, muss umdenken.

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Zwischen Traum und Wirklichkeit: Max Pechsteins Bild von der Südsee

Gauguin hatte es allen vorgemacht. Des Lebens in Paris überdrüssig, suchte er in der Südsee sein Paradies, hielt sich mehrfach auf Tahiti auf. Diesem Beispiel folgten dreißig Jahre danach Künstler, die sich unter dem Namen „Die Brücke“ zu einer neuen Kunst zusammengefunden hatten – Ernst Ludwig Kirchner, Emil Nolde und Max Pechstein. Sie alle brachten wie Gauguin von ihrer Reise einen neuen Malstil mit, vereinfacht in den Formen, sie alle hatten mit den in der Südsee oder danach entstandenen Gemälden Erfolg, wie auch Gauguin, und noch heute wird Pechsteins Reise gern als Fahrt ins Paradies präsentiert, so geschehen vor zwanzig Jahren im Spendhaus in Reutlingen. „Das ferne Paradies“ hieß die Schau damals in Zusammenarbeit mit dem Museum in Zwickau. Das scheint sich zu wiederholen: „Der Traum vom Paradies“ heißt die neue Präsentation, wieder in Koproduktion mit Zwickau, jedoch ergänzt durch den Untertitel: „Max und Lotte Pechstein in der Südsee“, und das ist ein entscheidender Unterschied.

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Bewegte Plastik – das bildhauerische Schaffen von Gerlinde Beck

Reglos sind sie, „statuarisch“, und stumm – das gilt jedenfalls für den Großteil aller Statuen seit der Antike. Im 20. Jahrhundert hat die Plastik oder Skulptur sich zwar verändert, sie wurde weniger sich selbst genügend, der Umraum der Arbeit ging in die Gestaltung ein, doch grundlegend hat sich am Charakter des stummen Starren wenig geändert. Grundsätzlich gilt das auch für die Arbeiten der 2006 verstorbenen Bildhauerin Gerlinde Beck, und doch hat sie im Laufe ihres Schaffens eine ganz eigene Form der Plastik kreiert. Die Städtische Galerie Böblingen zeigt jetzt einen Überblick über diese Entwicklung.

beckg_s_80-001-m-700x464Skulptur in Röhrenlandschaft, 1972 © VG Bild-Kunst Bonn 2016

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