Es gilt als das Buch der Verführung schlechthin, das Kamasutra (deutsch Verse des Verlangens), und Verführung ist das Wesen der Erotik. Doch Verführung birgt auch Gefahren, sie macht widerstandslos, besteht ihr Ziel doch darin, das Gegenüber von seinem eigentlichen Weg abzuführen. Folgerichtig sah der Soziologe Max Weber in der Verführung eine Form der Machtausübung und damit der Herrschaft. Verführung hat ein Janusgesicht – und genau dieses Doppelspiel führt ein neuer Abend beim Stuttgarter Ballett in vier Facetten vor.
Archiv des Autors: Dr. Rainer Zerbst
Der Ruch der bösen Tat. Peter Konwitschnys Stuttgarter Elektra-Inszenierung
Schuld ist, wie so oft in der griechischen Mythologie, der Trojanische Krieg. Bereitwillig übernimmt Agamemnon den Oberbefehl über die Griechen, um die Gattin seines Bruders Menelaos aus Troja wieder heimzuholen. Doch weil der Wind für die Seereise fehlt, opfert er seine Tochter Iphigenie. Das wird ihm zum Verhängnis, denn siegreich zurück vom Krieg wird er wegen der Opferung Iphigenies von seiner Frau Klytemnästra und deren Geliebten Aegisth getötet. So die Vorgeschichte von Richard Strauss‘ Oper Elektra.
Pop Art made in Germany. Die Sammlung Kraft
Es war die Kunst der Nachkriegszeit, eine Kunst der Konsumwelt, des Luxus, der Alltäglichkeit: die Pop Art. Alles, was in den 50er Jahren in der Kunst verpönt war – Gegenständlichkeit, leichte Verständlichkeit, Plakativität – wurde in ihr zum Motto erhoben. Ob Industrieprodukte wie Suppendosen, Comics oder Objekte wie die amerikanische Flagge – alles wurde subtiler farblicher Nuancen entkleidet und in grellen Farben auf die Leinwand gebracht. Der persönliche Pinselstrich galt nichts mehr, die Revolte gegen den abstrakten Expressionismus in den USA oder das Informel in Europa war vollkommen. Die Sammlung des Kölners Hartmut Kraft zeigt die Folgen dieser amerikanischen Revolution (die freilich in England ihre Ursprünge hatte) für die deutsche Kunstszene.
Ein Schwabe verändert die Welt: Carl Laemmle und das Kino
Die amerikanische Traumweltindustrie erinnert gern an ihre großen Väter. Was 1918 vier aus Polen stammende Brüder begründeten, lebt heute noch mit ihrem Namen fort als Warner Brothers, MGM ist benannt nach ihrem Gründer Louis B. Mayer. Beiden Filmgesellschaften ging aber eine Gründung voraus, die mit Fug und Recht LFS heißen könnte, Laemmle Film Studios, benannt Carl Laemmle.Der hatte seine Filmfirma bereits 1912 ins Leben gerufen und Universal Studios genannt, und damit endete sein Einsatz für die Traumindustrie keineswegs. Das Haus der Geschichte in Stuttgart zeichnet zum 150. Geburtstag die Lebensgeschichte dieses gebürtigen Schwaben aus Laupheim nach, die selbst Stoff für einen Film sein könnte.
Gold und Silber zu Ehren Gottes: Der Zwiefaltener Klosterschatz
Es war noch keine fünfzig Jahre alt, da beschrieben es Zeitgenossen bereits als schimmernden Tempel „mit goldenen Kronen, mit goldenen, silbernen, kristallenen und elfenbeinernen Gefäßen, mit Edelsteinen und seidenen Wandbehängen“. Was nach einem morgenländischen Palast aus 1001 Nacht klingt, befand sich freilich auf der Schwäbischen Alb und war kein heidnisches Schloss, sondern ein katholisches Kloster: Zwiefalten. Noch heute zieht es Tausende von Besuchern an, obwohl es längst nur noch Relikt ist: Das Kloster wurde 1803 im Zuge der Säkularisation aufgelöst, seine Schätze nach Stuttgart verbracht, wo sie zum Teil eingeschmolzen wurden. Was der Zerstörungsarbeit durch die Protestanten entging, befindet sich heute im Besitz der Kirchengemeinde Zwiefalten, ist, von einzelnen Gegenständen, die im Kirchenalltag Verwendung finden, dem Auge der Öffentlichkeit entzogen. Eine Ausstellung im Diözesanmuseum Rottenburg zeigt, wie kostbar die Schätze sind, vor allem aber, was sie über das Kloster aussagen.
Mit Kunst für eine bessere Welt. Der Arzt Gremliza und die Lovis-Presse
Er war Arzt, und als solcher angetreten, das Leiden der Menschen zu mindern, Leben zu retten, Zukunft zu ermöglichen: Franz Georg Ludwig (genannt Lovis) Gremliza. Nach Schwenningen verschlug es ihn kurz vor Kriegsende, und auch wenn sein Wirken in dieser Stadt nur wenige Jahre währte, so sollte sein Einsatz hier Folgen bis in die Gegenwart haben, denn Gremliza beschränkte sein Engagement nicht auf den Leib der Patienten, sondern kümmerte sich gleichermaßen um deren seelisches und kulturelles Wohlergehen. Die Städtische Galerie in Schwenningen gäbe es ohne ihn möglicherweise nicht, jetzt würdigt sie sein Engagement in einer Ausstellung.
Magie durch Tanz: Demis Volpis Handlungsballett Krabat
Spätestens seit John Cranko, der legendäre Schöpfer des Stuttgarter Ballettwunders, in den 60er Jahren das große abendfüllende Handlungsballett neu belebt hat, ist dieses Genre aus dem Repertoire des Stuttgarter Balletts nicht wegzudenken. Die großen Crankoballette nach literarischen Stoffen – Romeo und Julia, Eugen Onegin – sind fester Bestand, und mit dem langjährigen Hauschoreographen Christian Spuck erhielt es neue Impulse mit Lulu und Der Sandmann. Spuck ist inzwischen Ballettchef in Zürich. Jetzt hat Demis Volpi sich dieser Form angenommen: Er wurde als Tänzer in Stuttgart groß, tanzte die großen Rollen in den Handlungsballetten. Als literarische Vorlage wählte er sich das Jugendbuch Krabat von Otfried Preußler. Krabat ist eine Mischung aus Volksmärchentradition und Jugendbuch – um einen Zauberer, die Verführung zur Macht und die erlösende Liebe.
Neue Kunst aus alten Räumen. Georges Rousse‘ Spiel mit den Dimensionen
Es gibt Künstler wie Christo, die Landschaften und Räume durch Eingriffe bis zur Unkenntlichkeit verändern. Es gibt Künstler wie Christian Boltanski, die sich auf Spurensicherung begeben. Georges Rousse ist beides, vor allem aber ist er Fotograf. Eine Ausstellung in der Städtischen Galerie Tuttlingen zeigt anschaulich, wie sich alle drei künstlerischen Techniken bei ihm zur perfekten Einheit fügen.
Haikus in Wort und Bild: Jürgen Glocker dichtet, Werner Pokorny zeichnet
Von allen literarischen Formen ist das Gedicht die komprimierteste, und unter allen Gedichten ist das Haiku das dichteste. In deutscher Sprache gerade einmal siebzehn Silben auf drei Zeilen verteilt, ein Nichts, ein Hauch an Worten, eine Fülle an Anspielungen, die der Leser in Assoziationen verwandeln muss – die Minimal Art unter den Dichtwerken. Und Werner Pokorny, der Bildhauer, ist in der bildenden Kunst ein Minimal Artist, nicht weil er in die Gruppe der Sol Lewitts, Dan Flavins oder Donald Judds gehörte, sondern weil er sich wie nur wenige Künstler Jahrzehnte lang auf wenige Formen beschränkt hat wie das Haus oder die Schale. Ein Künstler wie er scheint geradezu auf eine Begegnung mit der Minimal Art der Dichtung gewartet zu haben, jetzt liegt sie vor, mit Haikus von Jürgen Glocker.
Mehr als nur zum Wohnen: Raum-Kunst
Raum ist physikalisch gesehen eine sich in drei Dimensionen erstreckende Größe, im menschlichen Leben ein zum Aufenthalt bestimmter Bereich, in der Astronomie das All, in der Malerei ein Problem. Erst durch die Zentralperspektive ließ er sich so darstellen, dass er für das Auge dreidimensional wirkte. Doch im 20. Jahrhundert hat sich vieles geändert. Die Perspektive in der Kunst gilt weitgehend als überwunden, die Physik des 20. Jahrhunderts hat Raum und Zeit relativiert – hinreichend Spielraum also für die Phantasie der Künstler, wie jetzt eine Ausstellung im Museum Ritter in Waldenbuch deutlich macht.