Archiv des Autors: Dr. Rainer Zerbst

Woher – Wohin? Ursprünge in der Geschichte der Menschheit

Die Frage nach dem Woher hat die Menschen seit jeher umgetrieben. Kaum eine Kultur, die sich nicht Ursprüngsmythen ausgedacht hat. Bei den Griechen war die Nacht Ausgangspunkt allen Seins, Nyx, ein schwarzer Vogel, aus dessen vom Wind befruchtetes Ei Eros entstiegen sein soll. Die Sumerer hatten einen Ursprungsgott Anu zur Begattung der Erde, die Bibel berichtet von Gott, der sich als erste Aufgabe gestellt haben soll, Himmel und Erde zu schaffen. Und auch die Wissenschaften befassen sich gern mit ersten Anfängen. Eine Ausstellung im Tübinger Schloss geht nun einigen solcher Ursprünge nach, denn eines ist gewiss: Den Ursprung gibt es nicht.

Museum der Universität Tübingen MUT/Valentin Marquardt

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Dünn, aber oho – die Linie als Alleskönnerin

Sie ist eine der ältesten Kulturformen der Kunst – die Linie. In alten Hochkulturen wurde sie in Ton geritzt, mit ihrer Hilfe wurden in Höhlen Tiere porträtiert, sie ist das Grundelement einer jeden Zeichnung. Die Renaissance unterschied die schöne geschwungene Linie von der starren, und im 20. Jahrhundert erfuhr die Linie eine neue Blüte im Werk eines Picasso oder Klee, nicht zuletzt weil sie im Grunde abstrakt ist, sich aber zu jeder Darstellungsform eignet. Dass die Linie eine Alleskönnerin ist, zeigt jetzt eine Ausstellung in der Galerie Stihl in Waiblingen.

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Ein Leben für Russland und durch Russland: Rainer Maria Rilke

Man kann ihn mit Prag assoziieren – doch diese seine Heimatstadt hat Rilke möglichst gemieden; man kann ihn in Worpswede ansiedeln, wo er seine Frau fand und worüber er ein berühmtes Buch geschrieben hat, ihn mit dem Paris Auguste Rodins identifizieren oder mit Schloss Duino, wo seine Duineser Elegien entstanden. Rilke war rastlos und fand erst in Muzot gegen Ende seines Lebens eine dauerhaft Wohnstätte. Doch eigentlich müsste man seine Heimat in Russland sehen – so hat er es immer wieder getan, und so führt es jetzt das Deutsche Literaturarchiv in Marbach vor.

Leonid Pasternak, Skizze für Ölgemälde Rainer Maria Rilkes. Foto: DLA Marbach

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Die Farbe der Farben: Rot im Museum Ritter

Es wirkt bedrohlich, kämpferisch – Rot signalisiert Gefahr, die roten Leinwände eines Barnett Newman wurden tätlich angegriffen – dabei ist die Farbe physikalisch eher langweilig, von allen Farben die mit der geringsten Energie. Entsprechend breit ist das Spektrum der Emotionen, die diese Farbe auslösen kann. Wirkt Zinnoberrot aggressiv, ist Scharlachrot mit seiner Tendenz zu Orange eher weich, und Karmin mit seinem purpurnen Schimmer kühl anmutend, auch gern als Signum der Macht verwendet. Kalt lässt die Farbe niemanden, für Goethe war sie die Farbe schlechthin, im Russischen ist rot ein Synonym für „schön“, in der Offenbarung des Johannes dagegen verwerflich mit der in Scharlach gekleideten Hure Babylon, ein Nachhall hiervon findet sich heute noch im Rotlichtmilieu. Eine Ausstellung, die sich dieser Farbe widmet, regt an und auf – derzeit im Museum Ritter, natürlich, wie alles in diesem Museum, in quadratischer Form.

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Auf dem Schleudersitz? Hauschoreograph am Stuttgarter Ballett

Es brauchte nur eine große abendfüllende Choreographie, und der Argentinier Demis Volpi war in das Amt des Hauschoreographen am Ballett Stuttgart katapultiert. Noch während des Premierenbeifalls nach der Uraufführung von Krabat nach dem Roman von Otfried Preußler am 22. März 2013 überraschte Ballettdirektor Reid Anderson das Publikum mit dieser seiner
Entscheidung; Volpi, damals gerade einmal siebenundzwanzig, wurde neben Marco Goecke der zweite Mann in diesem Amt. Doch es bedurfte nur einer zweiten abendfüllenden Choreographie –
Salome -, und Volpi war diesen Posten auch schon wieder los. Anderson hätte ihm das Amt wohl schon nach der Premiere von diesem Ballett entzogen, wollte aber wohl Volpi nicht damit belasten, der für die Oper Stuttgart Benjamin Brittens Oper Tod in Venedig inszenieren sollte – was er mit überwältigendem Erfolg auch tat.

Anderson begründet seine Entscheidung damit, Volpis Begabung liege eher im Geschichtenerzählen und Theatermachen als in der Choreographie – eine seltsame Begründung, denn die Ernennung Volpis zum Hauschoreographen erfolgte nach einer Ballettversion eines Romans, und Romane erzählen per definitionem Geschichten. Zudem hatte Volpi für die Geschichte eindringliche, durchaus vom Tanz her bestimmte Bilder gefunden. Andersons Entscheidung, ihn wegen dieser Arbeit zum Hauschoreographen zu ernennen, war mehr als plausibel. Geschichtenerzählen war also kein Hindernis – und Volpi bekannte sich kurz danach ausdrücklich dazu.

Zugegeben, Volpis Salome glänzt nicht mit großen Tanzszenen, es ist eine Choreographie der bedeutungsvollen Gesten und der eindrucksvollen Bilder, auch wenn diese gelegentlich ein wenig allzu ästhetisch ausfielen – doch das ließe sich von der jungen Choreographin Katarzyna Kozielska auch sagen, etwa in ihrem Ballett Neurons; von ihr hält Anderson offenbar sehr viel. Er scheint übrigens eher allein mit seinem Urteil über Volpis Salome, denn die Arbeit wurde für den Tanzpreis Benois de la Danse nominiert. Außerdem brillierte Volpi nicht nur in der Sparte Handlungsballett, mit Aftermath gelang ihm ein dreißigminütiges Meisterwerk, in dem er mit rein tänzerischen Mitteln das Thema Individuum und Masse auslotet.

Mit Krabat schuf er einen Publikumshit und erhielt dafür den Deutschen Tanzpreis Zukunft. Die Rolle des Teufels in seiner Version von Strawinskys Geschichte vom Soldaten brachte der Ersten Solistin am Stuttgarter Ballett, Alicia Amatriain, den Deutschen Theaterpreis Faust ein. Das alles in der kurzen Zeit seit Krabat.

Seltsam ist außerdem, dass Anderson, der mit dem Stuttgarter Ballett eine Compagnie leitet, die vor allem durch die erzählerischen Handlungsballette eines John Cranko bekannt ist, sich nun gegen das Geschichtenerzählen wendet.

An Aufträgen dürfte es Volpi nicht mangeln, er ist ein weltweit angesehener und gefragter Choreograph, im Stuttgarter Ballett wird er fehlen – und sollte er demnächst bei Eric Gauthiers inzwischen sehr renommierter Tanztruppe am Stuttgarter Theaterhaus eine erfolgreiche Choreographie herausbringen, wie es vor ihm schon ein anderer Hauschoreograph des Stuttgarter Balletts getan hatte, dann wäre es pikant.

Aufregend trotz der Ankündigung: Die Ausstellung Transfer Transition Translation in der Galerie Reinhard Hauff

Politisch engagierte Kunst in Zeiten wachsender Flüchtlingsströme – das könnte man von der aktuellen Ausstellung in der Stuttgarter Galerie Reinhard Hauff erwarten: Transfer Transition Translation, so lautet der Titel; das ist zwar nicht gleichzusetzen mit erzwungener Ortsveränderung, aber Transfer bedeutet Verlagerung, Transition Übergang, Translation Übersetzung, lauter Begleitphänomene, die auch mit Flucht und Ortsveränderung einhergehen. Und doch ist das keine vordergründig politische, genau genommen nicht einmal eine thematische Ausstellung, denn letztlich hat der Künstler Thomas Locher lediglich unter diesem Titel neun Studierende der dänischen Kunstakademie in Kopenhagen versammelt, wo er einen Lehrauftrag hatte. Und so wird der Titel in der Ausstellungsbeschreibung denn auch gleich relativiert: Man habe die Künstler nicht in ein konzeptuelles Schema pressen wollen, weshalb die Thematik auf den ersten Blick nicht greifbar sei. Es gehe um Auseinandersetzungen mit formalen Fragen der unterschiedlichsten Medien in freier Präsentation. Die Ausstellung verwende daher „ein methodisch [sic!] sowie fotografisches oder auch kinematografisches Dispositiv als Bezugssystem“. Wer nach Lektüre solcher Sätze dennoch die Ausstellung besucht, ist nicht ganz ohne Mut oder verfügt über zu viel freie Zeit. Dabei wären solche Phrasen gar nicht nötig.

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Die Liebe in Zeiten der Krise: Horváths Kasimir und Karoline am Schauspiel Stuttgart

Er war ein Meister kleinbürgerlicher Trivialitäten, Hoffnungen und Enttäuschungen, patriarchalischer Rollenverständnisse und ein früher Mahner vor der Gefahr eines aufkeimenden Nationalismus: Ödön von Horváth. Als Ziel seiner Arbeit bezeichnete er die Demaskierung des Bewusstseins, und damit dürfte er, wiewohl seine Stücke unverkennbar die Gesellschaft der 20er und 30er Jahre zum Inhalt haben, auch im 21. Jahrhundert, einer Gegenwart zunehmender Nationalismen und „alternativer Fakten“, von erschreckender Aktualität sein – und gezeigt haben dass Karl Marx möglicherweise Recht hatte mit seiner Behauptung, das gesellschaftliche Sein bestimme das Bewusstsein. In Horváths 1932 uraufgeführtem Stück Kasimir und Karoline ist Chauffeur Kasimir gerade arbeitslos geworden, und dieses Schicksal prägt sein ganzes weiteres Tun und Denken. Wem seine Arbeit genommen wird, der verliert auch seine Braut. Über Kasimir und Karoline droht von Anbeginn an eine Zukunft Kasimir ohne Karoline.

Peer Oskar Musinowski (Kasimir), Manja Kuhl (Karoline), Horst Kotterba (Speer), Andreas Leupold (Rauch), Paul Grill (Schürzinger). Foto: Thomas Aurin

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Alles dichterische Fantasie? Demis Volpi inszeniert Brittens Death in Venice

1973 hatte Benjamin Brittens Opernversion von Thomas Manns Novelle Der Tod in Venedig Uraufführung, zwei Jahre zuvor hatte Luchino Visconti seine Interpretation ins Kino gebracht. Beide verarbeiteten in diesen Werken ihre homoerotischen Neigungen, wie es ja 1911 auch schon der 36jährige Thomas Mann getan hatte. Visconti machte für die Leinwand aus dem Dichter Aschenbach einen an Gustav Mahler erinnernden Komponisten, Britten hielt sich in seiner Opernversion streng an die literarische Vorlage bis hin zur Endvision, in der der an Cholera erkrankte todkranke Dichter meint, der von ihm vergötterte Knabe Tadzio lächle und winke ihm zu, das, was er tagelang in Venedig erfolglos zu erreichen versucht hatte. Britten hatte in seinem Werk, in dem es vor allem um Schönheit und Ästhetik geht, Oper und Tanz kombiniert, so war es nur folgerichtig, dass die Oper Stuttgart nun die Regie für ihre Neuproduktion dem Hauschoreographen des Stuttgarter Balletts, Demis Volpi, übertrug.

Matthias Klink (Aschenbach) Foto: Oper Stuttgart

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Es muss nicht immer Origami sein. Plastiken aus Papier im 20. Jahrhundert

Asien war Europa in vielem weit voraus. Es war die Wiege des Schwarzpulvers, hier wurde Papier erstmals hergestellt, und hier entdeckte man auch, dass Papier nicht auf die Blattform beschränkt sein muss. Vor zweitausend Jahren kam man dort auf die Idee, Objekte aus Papier zu falten, und brachte sie rund tausend Jahre danach zur künstlerischen Blüte: Origami. Die Mauren setzten die Technik zu ornamentalen Zwecken ein, und die Deutschen im 19. Jahrhundert zu pädagogischen. Künstlerisch bedeutend wurde der dreidimensionale Umgang mit Papier in Europa erst im 20. Jahrhundert, danach war das Papier aus der Kunst allerdings nicht mehr wegzudenken, wie jetzt eine Ausstellung in der Kunsthalle Vogelmann in Heilbronn zeigt: Skulpturen aus Papier.

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Die große Kunst des Comic: Der japanische Holzschnitt

Picasso bedauerte, keine Comics geschaffen zu haben, und Lyonel Feininger, der spätere Bauhauskünstler, begann seine Karriere – als Comiczeichner. Comic und Kunst schließen einander also nicht aus, wie Künstler wie Charles M. Schulz, Roy Lichtenstein oder Art Spiegelman zeigen. Dennoch denkt man hierzulande bei Comics an Heftchenerzählungen für Kinder, an Mickey Mouse und Fix und Foxi, an Sprechblasen, die mit wilden Zacken andeuten, dass der Held wütend ist. Im Westen musste sich der Comic seine Kunstwertigkeit erst verdienen, ganz anders in Japan, wo der Comic in einer langen altehrwürdigen Kunsttradition steht, wie eine Ausstellung in Schloss Messkirch zeigt.

Astro Boy, Merchandizing Figur nach Osamu Tezuka

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