Archiv des Autors: Dr. Rainer Zerbst

Von der Lebendigkeit des Alten: Plastiken von Gerda Bier

Es gibt Künstler, die eine Art „Markenzeichen“ haben, an denen man sie sofort erkennt. Das kann eine Handschrift sein wie die dick aufgespachtelte Farbe bei van Gogh, eine Darstellungsweise wie die Multiperspektivität in Picassos Figurenbildern oder eine Formeigenschaft wie die dürren Figuren eines Giacometti. Bei der Bildhauerin Gerda Bier sind es die Materialien: altes Holz und Eisen, aus denen sie neue Skulpturen schafft, und das, wie eine Ausstellung in der Galerie im Prediger in Schwäbisch Gmünd beweist, seit Jahrzehnten.

Türrelikt, 1997

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Zwischen Sein und Nichtsein: Malerei von Dieter Mammel

Das Malen eines Bildes gleicht einer Creatio ex nihilis. Ein erster Pinselstrich auf der unberührten Leinwand schafft eine Realität. Diese kann ergänzt werden (und wird es auch meist), sie kann modifiziert, nicht aber zurückgenommen werden. Selbst eine Übermalung schafft eine neue Realität. Insofern ist der Maler gefangen in einer Welt der – wenn auch nur gemalten – Dinge, zu denen jeder Strich, jede Fläche zählt. Das mag in der Moderne geradezu anachronistisch anmuten, in der selbst die früher als solide angesehene physikalische Welt durch die moderne Wissenschaft als stets im Fluss, in Bewegung entlarvt wurde. Eine Ausstellung in der Städtischen Galerie Reutlingen zeigt einen Maler, der diese Schaffung von Welt durch den Pinsel für problematisch hält. Dieter Mammel beschreitet mit seinen Arbeiten Zwischenwelten.

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Bilder aus dem Inneren: Karl Hurms Albphantasien im Kunstmuseum Albstadt

Schon das 19. Jahrhundert bewies die Neigung, sich von der traditionellen Akademiemalerei abzukehren. Nicht im Atelier entstanden nun die Bilder, strengen Malgesetzen folgend, sondern im Freien nach den Gesetzen dessen, was sich da dem Auge bot. Im 20. Jahrhundert setzte sich das als radikale Ablehnung des Akademismus fort – bei den Expressionisten beispielsweise -, und in der Entdeckung von Malern, die keine Akademie von innen gesehen hatten wie etwa Henri Rousseau. Ihre „naive“ Malerei hatten sie sich selbst beigebracht, und sie hatte für die Großen der akademisch ausgebildeten Küntsler den Reiz des Naturhaften und Unbekümmerten. Picasso entdeckte Rousseau, Kandinsky nahm ihn in seinen Almanach der Moderne Der Blaue Reiter auf. In der Nähe von Haigerloch arbeitet seiet einem halben Jahrhundert Karl Hurm in dieser Tradition, die keine ist. Jetzt hat er dem Kunstmuseum Albstadt vierzig seiner Bilder von er schwäbischen Alb vermacht.

Der Lochgräber, 1982 © Karl Hurm

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Endzeitvision zum Ende einer Intendanz: Toshio Hosokawas Erdbeben.Träume hat Uraufführung an der Oper Stuttgart

Es ist einer der grausamsten Texte deutscher Literatur zumindest des 19. Jahrhunderts. In fast klinisch aseptischer, neutraler Sprache berichtet Heinrich von Kleist vordergründig von einem Erdbeben in Chili. Doch in Wirklichkeit beschreibt er eine Apokalypse: der Welt durch eine Naturkatastrophe, der Menschlichkeit durch das Volk, das durch die Angst im Dienste einer rigiden Moral zum mordenden Mob wird. Marcel Beyer hat diese Erzählung zu einem Opernlibretto verdichtet, der Japaner Toshio Hosokawa hat sie in ein operndramatisches Klangereignis verwandelt. Jossi Wieler verabschiedete sich von seiner Opernintendanz mit einer eindringlichen Mahnung an die Menschheit.

Dominic Große (Jeronimo), Esther Dierkes (Josephe Asteron), Sachiko Hara (Philipp), Kinderchor der Oper Stuttgart, Benjamin Williamson (Anführer der sadistischen Knaben). Foto: A.T. Schaefer

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Licht schafft Kunst: Hermann Waibel im Kunstmuseum Ravensburg

Vielleicht lag es an der Erfindung der Fotografie, die im 19. Jahrhundert die Möglichkeiten der Realitätswiedergabe revolutionierte, indem sie das Bild der Welt mittels des Lichts auf Papier bannte, dass sich im 20. Jahrhundert Künstler zunehmend mit dem Licht befassten. László Moholy-Nagy arbeitete mit lichtempfindlichen Beschichtungen, Otto Piene kreierte Lichtballette, Dan Flavin schuf Installationen mit Leuchtstoffröhren und James Turrell entmaterialisiert Raumwände mit Licht und lässt den Betrachter in Farbwolken eintauchen. Allen gemeinsam: Ihren Arbeiten liegt eine künstliche Lichtquelle zugrunde. Nicht so bei Hermann Waibel. Seit sechzig Jahren kreist seine Kunst um das Licht, aber er begnügt sich mit dem vorhandenen Licht im Freien oder im Innenraum. Dabei ging er geradezu wissenschaftlich vor und schuf zugleich hochgradig ästhetische Werke, wie eine Ausstellung im Ravensburger Kunstmuseum zeigt.

Lichtstruktur-Zeichnung, 1975 © Hermann Waibel

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Moderne Kunst mit Stillleben und Landschaften: Giorgio Morandi in der Städtischen Galerie Villingen-Schwenningen

Was er male, existiere, sagte Paul Cézanne einmal, er male nichts, das es nicht gebe. Dieser Satz könnte auch von Giorgio Morandi stammen. Sein großes Thema waren neben der Landschaft Vasen und Kannen. Und doch streben seine Bilder einer Abstraktion entgegen, wie man es bei dieser Gegenstandsverhaftung kaum vermuten würde. Eine Ausstellung in der Städtischen Galerie Villingen-Schwenningen macht das deutlich. Sie stellt zwei seiner wesentlichen malerischen Themen in den Vordergrund: Licht und Farbe.

 

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Schöpfungen wie aus dem Nichts: Die Farbe Weiß im Museum Ritter

Es sollte ein Neuanfang sein, eine Stunde Null in der Kunst, von der an alles möglich war. So verstanden Otto Piene und Heinz Mack 1958 ihre neue Kunst, die sie ZERO nannten und in deren Zentrum die Farbe Weiß stand – die Farbe bzw. das Licht. Ein besseres Medium hätten sie nicht wählen können, als sie ein Gegengewicht gegen den Ballast der Vergangenheit suchten, denn Weiß gilt – zumindest in unserem Sprach- und Kulturraum als Symbol der Reinheit, der Unschuld und Unendlichkeit (im Unterschied etwa zum Buddhismus, wo Weiß für Trauer steht, und zu China, wo Weiß Symbol für Herbst und Alter ist). Weiß zählt mit Schwarz zu den unbunten Farben, wobei der Begriff Farbe durchaus zutrifft, denn physikalisch ist Weiß die Addition von Rot, Grün und Blau in jeweils gleichen Intensitäten. Insofern könnte man bei Weiß auch von einem Höchstmaß an Möglichkeiten reden. Das Museum Ritter in Waldenbuch zeigt ein Spektrum dieser Möglichkeiten – natürlich, wie stets in diesem Haus – im Quadrat.

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Untergang als Comic: Sebastian Baumgarten inszeniert Salome am Schauspiel Stuttgart

Wenn man Vorgeschichte als Omen begreift, dann stand diese Figur unter einem bösen Stern. Salome war die Enkelin jenes Herodes, der für den bethlehemitischen Kindermord verantwortlich war, und sie war eine Tochter der Herodias, die in zweiter Ehe mit dem Bruder ihr ersten Mannes verheiratet war – auch er ein Herodes, was den Widerspruch des Propheten Johannes hervorrief. Was kann da schon Gutes entstehen? Und so wurde Salome denn auch zum Inbegriff des verführerischen Frau, die mit einem Schleiertanz ihren Stiefvater dazu bringt, ihr das Haupt des von ihr geliebten Propheten Johannes zu liefern. Die Erzählung findet sich in der Bibel, nicht jedoch der Name dieser Prinzessin. 1893, in der Blütezeit des Fin de Siècle, das eine besondere Vorliebe für die Laszivität dieser Figur hatte, veröffentlichte Oscar Wilde sein Drama um diese Prinzessin, hundert Jahre danach bearbeitete Einar Schleef das Stück und betonte vor allem eine krude Sexualität. Jetzt hat Sebastian Baumgarten diese Version am Schauspiel Stuttgart inszeniert.

Christian Czeremnych, Julischka Eichel, Horst Kotterba, Sebastian Röhrle. Foto: Birgit Hupfeld

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Unmögliche Räume: Martin Kaspers „Architekturmalerei“

My home is my castle – der englische Spruch verrät Stolz und ein Gefühl der Sicherheit. Die Welt da draußen ist voller Gefahren – fremd, bedrohlich. Der Rückzug ins Innere, ins Eigenheim verspricht Vertrautheit, Wärme, Zuflucht. Aber das Innen kann auch Gefängnis sein. Piranesis Radierungen der Carceri wurden gedeutet als Alptraumwelten, die Räume bei Max Beckmann verbreiten eine Stimmung des Unbehagens. Auch Martin Kasper malt Innenräume. Bei ihm sind es Symbole der Verunsicherung, dabei wirken sie auf den ersten Blick ganz „normal“.

Schusev 1, 2017 © VG Bild-Kunst Bonn, 2018. Foto: Bernhard Strauss

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Kunst als Herausforderung: Olaf Metzel im Spendhaus in Reutlingen

Er mischte sich ein, bezog Stellung. Der Maler Jerg Ratgeb engagierte sich für die Bauern im Bauernkrieg und musste das mit dem Leben bezahlen. Das war 1526. 450 Jahre danach setzte ein anderer Künstler, der sich gleichfalls für Gerechtigkeit und Freiheit engagierte, diesem Künstler ein Denkmal. HAP Grieshaber rief den Jerg-Ratgeb-Preis ins Leben. Damit sollte nicht unbedingt politische Kunst ausgezeichnet werden, wie man vermuten könnte, sondern generell ein künstlerisch bedeutendes Lebenswerk. Mit dem jüngsten Preisträger hat diese Ehrung allerdings wieder die Komponente, die das Werk des Stifters auszeichnet. Olaf Metzel, seit 1990 Professor für Bildhauerei in München, versteht Kunst als ästhetische Äußerungsform, die zugleich politische Stellungnahme ist: Kunst als eine Form der Provokation. Die den Preis begleitende Ausstellung im Reutlinger Spendhaus macht das deutlich.

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