Archiv des Autors: Dr. Rainer Zerbst

Lukas Weiß: Bildwelten aus Parkett

Man braucht nicht viel zu einem Holzschnitt, es genügen: ein Holzbrett, ein scharfes Messer und Farbe. Damit hat man sich jahrhundertelang begnügt. Aber spätestens seit Holzschneider wie HAP Grieshaber ganze Türen als Druckstöcke benutzten, von Gewehrkugeln durchlöcherte Bretter oder gedrechselte Stuhlbeine, waren der Vielfalt der Materialien, mit denen man drucken konnte, keine Grenzen gesetzt. Verglichen damit ist der 1986 geborene Lukas Weiß, Gewinner des diesjährigen Holzschnitt-Förderpreises des Freundeskreises Kunstmuseum in Reutlingen, ein Minimalist. Er hat als Druckstock das Stäbchenparkett entdeckt und gestaltet aus damit gedruckten schmalen rechteckigen Streifen Bilder von mehreren Quadratmetern, die jetzt das Kunstmuseum Reutlingen zeigt.

Blues, 2018 © Lukas Weiß, Leipzig. Foto: Barbara Proschak, Leipzig

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Sehen wir, was ist? Die Kunst des Hans Jörg Glattfelder

Etwas Konkreteres als Linie, Farbe und Oberfläche gebe es nicht, so meinte Theo van Doesburg und begründete damit 1930 die Konkrete Kunst. Sechs Jahre später fand dieses Manifest bei einer Gruppe von Künstlern in Zürich ihren Widerhall, und auch das Manifest von Max Bill betonte eine Kunst, die ganz ihren eigenen Gesetzen gehorchen solle, fern jeder Naturerscheinung. Allerdings fügte er den beiden Mitteln Farbe und Form noch drei hinzu: Raum, Licht und Bewegung. Die Schule der Zürcher Konkreten war geboren. Drei Jahre danach kam Hans Jörg Glattfelder zur Welt und ließ sich als junger Künstler von dieser Kunst inspirieren. Das Museum Ritter zeigt nun eine Retrospektive.

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Psychogramm oder Historiendrama? Kenneth MacMillans Mayerling am Stuttgarter Ballett

Was genau geschah am 30. Januar 1889 im Jagdschloss Mayerling hätte nach dem Willen des österreichischen Kaiserhauses nie an die Öffentlichkeit dringen sollen. Fest steht, dass Kronprinz Rudolf mit einem Kopfschuss tot aufgefunden wurde, neben ihm ebenfalls erschossen seine blutjunge Geliebte Mary Vetsera, sehr wahrscheinlich von ihrem Geliebten getötet. Rudolf war ein zerrissener Charakter, möglicherweise durch die sadistische Erziehung durch einen Major psychisch gebrochen, ein Mann, der in Liebesaffären und Drogen seine Flucht suchte. 1978 hat Kenneth MacMillan das Drama für Covent Garden in einem Ballett verarbeitet. Jetzt hat das Stuttgarter Ballett diese Choreographie in neuer Ausstattung herausgebracht.

Friedemann Vogel © Stuttgarter Ballett

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Das Geheimnis der Malerei: Emil Kiess

Jahrhundertelang mischten Maler ihre Farben auf der Palette, ehe sie sie auf Leinwand oder Holz auftrugen. Das änderte gegen Ende des 19. Jahrhunderts der Maler Georges Seurat. Er untersuchte das Phänomen Farbe geradezu wissenschaftlich und gelangte zu der Erkenntnis, dass Farben sich nicht auf der Palette, sondern im Auge mischen. Daher trug er die Farben in kleinen Punkten oder Strichen nebeneinander auf. Der Divisionismus war geboren, aus dem sich dann der populäre Pointillismus entwickelte. Der 1930 geborene Emil Kiess machte diese Erkenntnis zum Ausgangspunkt seiner jahrzehntelangen Beschäftigung mit dem Phänomen, wie eine Kabinettausstellung im Museum Art.Plus in Donaueschingen belegt.

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Erste Schritte zur Meisterschaft? Baselitz, Richter, Polke und Kiefer in der Staatsgalerie Stuttgart

Was internationale Geltung betrifft, taten sich deutsche Künstler eher schwer. Ein Albrecht Dürer war europaweit bekannt, Hans Holbein d.J. wirkte am englischen Hof, Adam Elsheimer feierte in Rom Triumphe, doch das alles ist Jahrhunderte her. Ein Grund mag die deutsche Kleinstaaterei sein, die verhinderte, dass sich Kunstzentren vom Range eines Paris im 19. und frühen 20. Jahrhundert etablierten oder New York in den Jahrzehnten danach. Vier Künstlern unserer Gegenwart allerdings gelang der Sprung in die Internationalität, einer von ihnen führt sogar seit Jahren die Rankingliste der teuersten Maler der Welt an: Gerhard Richter. Er bekam neben Georg Baselitz, Anselm Kiefer und Sigmar Polke weithin beachtete Ausstellungen in den USA in renommierten Instituten. Die Staatsgalerie Stuttgart untersucht nun in einer Ausstellung deren Anfänge.

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Vergangenheit als Trauma: Krzysztof Warlikowskis Inszenierung von Glucks Iphigénie en Tauride

Eine nicht abreißende Blutspur zieht sich durch die Geschichte des Atridengeschlechts der griechischen antiken Mythologie. Erst opfert Agamemnon seine Tochter Iphigenie, um von den Göttern Wind für seine Flotte gegen Troja zu bekommen, um also Krieg führen zu können. Göttin Diana aber rettet sie und bringt sie nach Tauris, wo sie als Priesterin für Menschenopfer zuständig ist. Bei seiner Rückkehr wird Agamemnon von seiner Frau und deren Geliebten ermordet, was wiederum Sohn Orest mit dem Mord an seiner Mutter rächt, weshalb er von den Rachegöttinnen dem Wahnsinn nahe gebracht wird. Doch in Glucks Oper Iphigénie en Tauride geschieht nahezu nichts, alle werden nur von Ängsten geplagt, und genau das hat Krzysztof Warlikowski zum Kernpunkt seiner Inszenierung an der Opéra National in Paris gemacht. Das war 2006, jetzt ist sie an der Oper Stuttgart auf die Bühne gelangt.

Renate Jett (Iphigénie, Schauspielerin, li.), Amanda Majeski (Iphigénie, re.). Foto: Martin Sigmund

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Ein Hilfsmittel wird autonom: Gustav Kluges Druckstöcke

Im Grunde ist es ganz einfach: Man schneide von einer Holzplatte all das, was nicht auf dem späteren Blatt zu sehen sein soll, weg, färbe das übrige hochstehende Holz ein und drücke es auf ein Stück Papier oder Leinwand. Das Kunstwerk, der Holzschnitt, ist fertig. Dass auch Druckstöcke ihren ästhetischen Reiz haben können, haben Museen längst erkannt und sie gelegentlich den ausgestellten Drucken beigegeben. Der Maler und Grafiker Gustav Kluge hat in ihnen eine selbstständige künstlerische Qualität erkannt. Das Kunstmuseum Reutlingen, dem er zahlreiche seiner Druckstöcke überlassen hat, zeigt, wie sich der Druckstock unter seiner Hand emanzipiert.

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Zwischen Idylle und Apokalypse: Landschaft bei Rudolf Schlichter

Es gibt Bilder von Künstlern, die deren künstlerische Biografie höchst unvollständig wiedergeben. So denkt man bei Otto Dix an die Bilder aus der Weimarer Republik, Szenen der sogenannten Goldenen Zwanziger Jahre, der Tänzerinnen, doch in Berlin und Dresden lebte und wirkte Dix keine zehn Jahre, dann zog er sich unter den Nazis nach Süddeutschland zurück und malte die folgenden drei Jahrzehnte ganz andere Bilder. Ähnlich liegt der Fall bei einem weiteren Vertreter der Neuen Sachlichkeit: Auch mit Rudolf Schlichter assoziiert man Bilder aus dem Berlin der Zwanzigerjahre, wo er u.a. Bertolt Brecht porträtierte. Doch wie Dix zog er sich, wenn auch aus anderen Motiven, nach stark zehn Jahren in seine schwäbische Heimat zurück. Was er da malte, zeigt jetzt eine Ausstellung in der Kunststiftung Hohenkarpfen.

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Picture goes spatial: Malereihochdrei im Museum Reutlingen/konkret

Jahrhundertelang galt das Bild als Fenster zur Welt. Farbe, Linie und Fläche dienten zur Gestaltung einer gegenständlichen Welt, die lange die reale abzubilden trachtete. Dieser Bildbegriff löste sich bereits im Lauf des 19. Jahrhunderts auf, die Zentralperspektive wurde zunehmend bedeutungslos, der Blick konzentrierte sich auf die Farbe und ihre Qualitäten, bis schließlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts jegliche bildnerische Repräsentation aufgegeben wurde. Alexander Rodtschenko kreierte 1921 die Reine Farbe Rot Gelb und Blau, Kasimir Malewitsch erhob die Kunst zum Selbstzweck, und Theo van Doesburg schuf die auf Linie, Farbe und Fläche als einzigen Gestaltungsmitteln beschränkte Konkrete Kunst. Dass sie im Gefolge den Bildbegriff in ganz neue Dimensionen vorantreiben konnte, zeigt eine Ausstellung im Kunstmuseum Reutlingen/konkret: Malereikonkrethochdrei.

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Politikerentlarvung – John Adams‘ Nixon in China an der Oper Stuttgart

Oper und Politik standen einander schon immer nahe. Mozart griff ein heikles Thema auf, als er Figaros Hochzeit schrieb, der Gefangenenchor aus Nabucco wurde zur heimlichen Nationalhymne der italienischen Freiheitsbewegung, und Marquis Posas Ruf nach Gedankenfreiheit im Don Carlos war schon zu Schillers Zeit ein Politikum. Aber Nabucco spielt in alttestamentarischer Zeit, Don Carlos war schon Jahrhunderte Geschichte, als Schiller und später Verdi ihm ein Denkmal setzten, lediglich Mozart bzw. seine Vorlage von Beaumarchais handelte ein zeitlich naheliegendes Thema ab. Geradezu hochaktuell aber wurde im 20. Jahrhundert John Adams, als er die Begegnung zwischen Richard Nixon und Mao Tse-tung zum Thema einer Oper machte, denn diese Begegnung lag nur fünfzehn Jahre vor Entstehung der Oper. Die Oper Stuttgart hat sie nun neu herausgebracht.

Shigeo Ishino (Kissinger), Michael Mayes (Nixcon). Foto: Matthias Baus

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