Bei Kunstkennern lässt sein Name in der Regel die Augen leichten, Kunstpreise hat er zuhauf erhalten, von Berlin ebenso wie von Sao Paolo; gleich zweimal war er auf der Kasseler documenta vertreten, desgleichen bei der Biennale in Venedig, wo er sogar eine Sonderausstellung erhielt, in den Kunstlexika wird in höchsten Tönen von ihm geschwärmt – und doch ist er immer noch ein weithin Unbekannter: Julius Bissier, vor 100 Jahren in Freiburg geboren, 1965 in Ascona gestorben. Zurückgezogen arbeitete er am Bodensee, später in Ascona, seine Bilder entstanden nicht selten in den stillen Nachtstunden. „Zeichen der Stille“ heißt eine Ausstellung in der Galerie Schlichtenmaier in Stuttgart.
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Bissier, der als Meister der abstrakten Kunst in die Annalen eingegangen ist und informelle Künstler wie Sonderborg nachhaltig beeinflusste, malte in den 20er Jahren Landschaften im neusachlichen Realismus, ja er wehrte sich sogar gegen die moderne Malerei, was sich erst durch seine Bekanntschaft mit Baumeister und Schlemmer änderte. Aber von da an entwickelte Bissier seinen eigenen Stil; Grund war seine Beschäftigung mit ostasiatischer Philosophie und Kalligraphie. Mit dickem Pinsel schuf Bissier Zeichnungen, die wie ostasiatische Schriftzeichen wirken mögen, aber ungleich phantasievoller und freier sind. Das ist keine Nachahmung, das ist eine ganz eigene Schöpfung aus dem Geist der ostasiatischen Meditation – und zeigt zugleich die perfekte Beherrschung der Tuschetechnik. Vor allem gelingt ihm eine Synthese aus Schriftzeichenhaftem und Bildsymbolik. Angeregt durch ostasiatische Philosophie bringt er in seine Bilder nicht selten einen Kontrast zwischen unterschiedlichen Formen ein – das Weibliche-Männliche, das Kompakte-Transparente, Innen-Außen. Zugleich bewahrt er sich in der Pinselführung die freie Gestik der Arme.
Bissiers Bilder sind durchweg von einer geradezu abgeklärten Schwerelosigkeit, Heiterkeit. Auch mit diesen Begriffen ließe sich seine Kunst definieren. Dabei ist er zugleich ein Maler des Schwarz-Weiß. Kaum ein Künstler hat derart vor der Farbe zurückgescheut wie er. Lange Jahre malte er ausschließlich mit Tusche und Pinsel, schwarz auf weißem Papier. Aber Schwarz ist nicht richtig. Vielmehr ringt er der Tusche eine solche Vielzahl an Grautönen ab, dass sie fast schon farbig scheint, zumindest eine riesengroße Palette an Nuancen aufweist.
Zur Farbe fand er in seinen Eitemperabildern.
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Hatte er bei seinen Tuschebildern besonderen Wert auf faseriges Büttenpapier gelegt, verwendete er als Malgrund für seine Eitemperaölbilder an den Rändern gezupftes Leinen. Diese Beherrschung der Techniken begegnet einem allenthalben. Als er mit Monotypien begann und damit auch wieder die Farbe entdeckte, griff er zu einer ganz anders gearteten Technik: Durch den Druck der bemalten Glasplatte ist das Ergebnis auf dem Papier nicht immer genau vorhersehbar. Das Resultat: herrlich schwingende abstrakte Kompositionen aus Farbflächen und Strichen.
Hier gibt es keine Grenzen, keine Abgrenzungen: Die Welt dieser Miniaturen ist offen für die Meditation, lässt eine Freiheit erahnen, die in der Realität selten erfahren werden kann. Sie braucht aber einen Betrachter, der sich darauf einlassen kann, und das ist wohl auch der Grund, weshalb Bissier immer noch weitgehend ein Geheimtipp ist, ist aber auch der Grund, weshalb seine Arbeiten, wiewohl inzwischen ein halbes Jahrhundert alt, Stück für Stück an Aktualität nichts verloren haben, weil sie immer wieder neu vom Auge erobert werden müssen. Der Künstler, so meinte Bissier einmal, sei Beauftragter eines höheren, vielleicht eines göttlichen Sinnes. Es muss ein sehr heiterer Gott sein, ein Serenissimus.
„Julius Bissier: Zeichen der Stille“, Galerie Schlichtenmaier, Kleiner Schlossplatz 11, 70173 Stuttgart bis 28. November 2015 Dienstag bis Freitag 11-19, Samstag 11-17 Uhr