In der Popszene geht gelegentlich die Angst um, Angst vor Gerichten. So wurden vor zwei Jahren Robin Thicke und Pharrell Williams verurteilt, sieben Millionen Dollar an die Erben von Marvin Gaye zu zahlen, weil ihr Song Blurred Lines allzu sehr einem Song des inzwischen verstorbenen Kollegen ähnele. Vor zwanzig Jahren verlor Madonna vor Gericht, weil sie für ihren Song Frozen vier Takte bei einem Kollegen abgekupfert habe. Doch Zitate galten nicht immer als anrüchig. Johann Sebastian Bach hat gleich ganze Konzerte von Vivaldi bearbeitet – und man sah darin damals kein Sakrileg, sondern eine ehrfürchtige Verneigung vor der Leistung anderer. Dass dem auch heute noch so sein kann, zumindest in der bildenden Kunst, zeigt eine Ausstellung in der Galerie Schlichtenmaier.
Joachim Kupke, After Ian H. Finlay (Dutch Interior), 2015 © Joachim Kupke/VG Bild-Kunst, Bonn
Gleich bei zwei Künstlern hat sich Joachim Kupke für sein Gemälde After Ian Finlay (Dutch Interior) bedient. Den Schriftzug Homage to Modern Art entnahm er dem Bild eines Künstlers von heute, die Figurenszene darüber einem Gemälde von Jan Vermeer. Das ist kein Plagiat, erst recht keine Fälschung, denn Kupke gab das Bild ja nicht als das eines anderen aus, sondern eine Neuschöpfung, eine creatio nicht ex nihilo, sondern ex arte: Kunst gebiert Kunst. So ist dieses Bild Zeichen der Verehrung für diese beiden Künstler, und im Fall von Vermeer muss sie sehr groß sein, denn Kupke widmet sich diesem Meister der kleinen Form häufig. Zugleich stellt es einen Dialog her zwischen Gestern und Heute und ist ein bildnerischer Kommentar zu dem, was André Malraux einmal musée imaginaire nannte und das heute, da jedes große Museum seine Bestände digitalisiert und für jeden einsehbar ins Netz stellt, neue Relevanz bekommen hat. Wer sich mit Kunst auseinandersetzt, so die Hypothese dieses Bildes, der betritt einen jahrhundertealten weltweiten Kunstkosmos, der umso größer ist, je bewanderter der Betrachter in der Kunstgeschichte ist. Das geht zurück auf eine alte Tradition. Als Peter Paul Rubens während seiner Lehrzeit in Italien weilte, zeichnete er in sein Skizzenbuch Teile berühmter italienischer Gemälde – von diesem ein Bein, von jenem eine Armhaltung – und baute sie später, zurück in der Heimat, in seine Gemälde ein, allerdings so, dass sie sich organisch in seine Figurenwelt einfügten und nicht als Zitat erkennbar waren. Und Rubens war nicht der einzige Künstler nördlich der Alpen, der sich im damaligen gelobten Land der Kunst seine Inspirationen holte.
Kupke ist ein Meister in der Vermischung von Epochen. Ein schnittiger Straßenkreuzer in einer Delfter Bildszene – das wirft Fragen auf nach der Gleichzeitigkeit von Kunst in unserer heutigen Medienwelt. Zugleich ist es ein kleines Rätselraten: Auf einem anderen Gemälde ließ Kupke von der Bildszene über Finlays Schriftzug nur noch den unteren Streifen übrig, so dass man in seinem Hirn unverzüglich nach dem Original sucht. Die moderne Komponente über dem unteren Bildstreifen von Vermeers Mädchen mit dem Weinglas, von dem nur die Volants der Gewänder zu sehen sind, ist leichter zu identifizieren: Es ist eines jener Bilder, auf denen Roy Lichtenstein die Pixel der Comicdruckvorlagen übergroß zum Gestaltungselement erhob. Doch trägt Lichtensteins Popgirl nicht einen solchen großen Ohrring, der findet sich auf einem anderen Vermeer-Gemälde, dem er auch den berühmten Titel gab.
Kunst gebiert Kunst – Kupke spielt mit einem alten Topos, der freilich hin und wieder durch eine Originalitätstheorie abgelöst wurde, in der Moderne aber wieder neue Aktualität bekam.
Willi Baumeister, Jacques Callot gewidmet, 1941 © Willi Baumeister/VG Bild-Kunst, Bonn
So schuf Willi Baumeister 1941 ein Gemälde mit den von ihm bekannten archaischen abstrakten Gebilden – die freilich in diesem Fall leichte Ähnlichkeit mit den satirischen Figuren von Jacques Callot angenommen haben. Das ist eine Hommage an den Meister, zugleich eine politische Aussage, denn ein Satiriker wie Callot, der in seinem Zyklus zum Dreißigjährigen Krieg die Gräueltaten der Soldaten anprangerte, hätte unter den Nazis ebenso Berufsverbot gehabt wie Baumeister.
Natürlich liegt eine Hommage an einen verehrten Meister bereits dann vor, wenn ein Bild einem berühmten Künstler gewidmet ist, wie es Joshua Reichert im Fall von Strawinsky gleich in einem ganzen Zyklus tat. Auch noch vergleichsweise oberflächlich ist die Verehrungsgeste, wenn Günter Schöllkopf Andersen und Kierkegaard gegeneinandersetzt. Wenn er es allerdings mit Rilke und Kisch tut, öffnet er bereits Kenntnishorizonte, denn beide wuchsen in Prag auf, was viele von Rilke nicht wissen, und wenn er Heinrich Heine in der Campagna zeigt, dann spielt er zugleich an Goethe und den Maler Tischbein an, der den Weimarer Geheimrat in Italien porträtierte.
Hiroyuki Masuyama, Greifswald im Mondschein, 1817 (nach Caspar David Friedrich), 2016 © Hiroyuki Masuyama /VG Bild-Kunst, Bonn
Subtiler sind derartige Hommagen, wenn etwa Hiroyuki Masuyama die Kompositionsprinzipien eines Caspar David Friedrich aufgriff, der aus Versatzstücken seine eigenen symbolisch aufgeladenen Landschaften schuf. Masuyama führte dies im modernen Medium der photomechanischen und digitalen Überblendung ins Hier und Heute. Camill Leberer evoziert in einem abstrakten Bild die Blaue Blume der Romantiker und nähert sich auf diese Weise ebenfalls Friedrich an, und Edda Jachens ließ sich durch die Meditationsbilder von Alexej von Jawlensky zu ganz eigenen modernen Kompositionen anregen. Solche Arbeiten bilden die subtilste Stufe der Hommagen an einen Künstler früherer Tage. Und wenn Eckart Hahn eine Kaffeekanne nüchtern in weißer Farbe porträtiert, erinnert er an Vorgänger Morandi, der dies mit Flaschen und Krügen tat – und karikiert den Meister zugleich liebevoll, indem er die Kanne übermäßig in die Länge gezogen hat: Hommage und Ironie in einem – Kunst ist ohne andere Kunst kaum denkbar.
Homage to Modern Art. Mit einem Intermezzo zum 70. Geburtstag von Joachim Kupke. Galerie Schlichtenmaier, Schloss Dätzingen, Grafenau, bis 4.11.2017