Politisch engagierte Kunst in Zeiten wachsender Flüchtlingsströme – das könnte man von der aktuellen Ausstellung in der Stuttgarter Galerie Reinhard Hauff erwarten: Transfer Transition Translation, so lautet der Titel; das ist zwar nicht gleichzusetzen mit erzwungener Ortsveränderung, aber Transfer bedeutet Verlagerung, Transition Übergang, Translation Übersetzung, lauter Begleitphänomene, die auch mit Flucht und Ortsveränderung einhergehen. Und doch ist das keine vordergründig politische, genau genommen nicht einmal eine thematische Ausstellung, denn letztlich hat der Künstler Thomas Locher lediglich unter diesem Titel neun Studierende der dänischen Kunstakademie in Kopenhagen versammelt, wo er einen Lehrauftrag hatte. Und so wird der Titel in der Ausstellungsbeschreibung denn auch gleich relativiert: Man habe die Künstler nicht in ein konzeptuelles Schema pressen wollen, weshalb die Thematik auf den ersten Blick nicht greifbar sei. Es gehe um Auseinandersetzungen mit formalen Fragen der unterschiedlichsten Medien in freier Präsentation. Die Ausstellung verwende daher „ein methodisch [sic!] sowie fotografisches oder auch kinematografisches Dispositiv als Bezugssystem“. Wer nach Lektüre solcher Sätze dennoch die Ausstellung besucht, ist nicht ganz ohne Mut oder verfügt über zu viel freie Zeit. Dabei wären solche Phrasen gar nicht nötig.
Immerhin: politischer Anspruch findet sich durchaus. Remembering from Nowhere nennt Vladimir Tomic eine Fotoserie – und dieses Nirgends dürfte Bosnien sein, wo er 1980 geboren wurde. Jeweils zwei Fotos werden in einem Holzrahmen nebeneinander gesetzt: Da finden sich glücklich wirkende Paare, aber auch nachdenkliche Menschen, eine Familie am Strand, aber auch zwei Jungen, auf deren Porträtfotos die Münder abgekratzt sind – erschreckendes Bildsymbol für Sprachverlust in jeder Hinsicht. Auf einem Foto ist ein großes Containerschiff zu sehen, auf dem Foto daneben springt ein Mann in einen Fluss. Die beiden Fotos haben nichts miteinander zu tun, erwecken aber, nebeneinander gesetzt, als wolle sich jemand von dem Schiff in eine neue Heimat stürzen. Aus zwei Bildern, die jeweils unabhängig sind, ergibt sich Sinn – ein Transfer von Zusammenhanglosem in Beziehungsdichte.
Auch Ana Pavlovic stammt aus dem ehemaligen Jugoslawien und hat in Skandinavien eine neue Heimat gefunden (und heißt inzwischen Ana Pavlovic Jensen). Auch sie weiß um Migrationshintergründe. Auf Holztafeln stellt sie Vögel dar, Birds, mit genauer Angabe zu Herkunft (z.B. Thailand), doch die folgenden Angaben machen deutlich, dass es sich um Frauen handelt – (Alter 22, Größe 1,68, Gewicht 48 Kilo) -, Frauen, die vermutlich im Westen einen Mann suchen.
Völlig ohne politische Dimension ist eine Arbeit von Magnus Pettersen. Er arbeitet mit herkömmlichen Betonstäben, die durch einen gebogenen Stahl zusammengehalten werden, die Plastik heißt Selfportrait, und in der Tat kann man in dem langen stehenden Betonstab einen Rumpf erkennen, in dem leicht gebeugten kleinen darüber einen Kopf, zumal in den eckigen Beton ein Mund und Augen eingeritzt sind – das ist die Übersetzung von banalem Material in künstlerische Darstellung, aus Baubeton wird eines der traditionellsten bildnerischen Motive. Es bedarf nur der Fantasie des Betrachters – wie auch bei der Arbeit von Pia Eikaas. Sie hat schlicht zwei Gazenetze an der Wand befestigt und herunterhängen lassen. Das könnten Zelte sein, Behausungen der vorübergehenden Art, es können aber auch – so die Vorstellung der Künstlerin – Gespenster sein, wie sie von Kindern gern gespielt werden, indem sie sich ein Betttuch über den Kopf ziehen. Kunst ist die Übersetzung von Material in Bedeutung – der Ausstellungstitel muss nicht politisch gedeutet werden, er kann auch auf grundsätzliche Fragestellungen verweisen. „Nachtgedanken“ könnte man eine mehrteilige Arbeit von Philip Poppek übersetzen, vage Gedanken, Fluffs, also luftige Federn, Flaum. Hier geht es um eine Transition in geradezu philosophischem Sinn. Auf die Nacht verweist eine Bildtafel mit dem Wort Night, andere zeigen verschwommene Wiedergaben eines historischen Gemäldes, reflektierende Metallteile von Rolltreppen; das Ganze, den Betrachter inbegriffen, reflektiert ein Spiegel, in dem sich alle Bestandteile dieser Nachtvisionen vereinen.
Ähnlich vieldeutig und der Übersetzung bedürftig ist ein Gemälde von Martha Svihus. Steel Motion heißt es, zu sehen sind glänzende Autokarossen, aus denen seltsame Stahlgebilde wachsen, Fahrzeuge, die an Autoscooter erinnern oder auch an die bunten Szenerien der Flipperautomaten – kaum auszumachen, welcher Realitätssphäre diese Objekte angehören.
Nicht alle Arbeiten lassen sich ohne Weiteres unter die Überschrift Trans… subsumieren, einige wären auch besser unberücksichtigt geblieben wie etwa Gemälde mit abstrakten Linien, die sich zu floralen Mustern fügen, doch regen die meisten Arbeiten gerade durch den Titel der Ausstellung zu Gedanken an, die weit über eine eine aktuelle politische Fragestellung hinausreichen. Wäre nur der Text, der die Ausstellung vorstellt, nicht so bar jeder Anschaulichkeit, dass er den Wunsch, die Ausstellung besuchen zu wollen, im Keim zu ersticken geeignet ist, und würde die Einladungskarte mit einer Graphik von Piranesi nicht die Erwartungen in eine Richtung lenken, die die Ausstellung weder erfüllen kann noch überhaupt möchte.
„Transfer Transition Translation“, bis 14.7.2017 Galerie Reinhard Hauff, Paulinestraße 47, Stuttgart