In einer Zeit, in der jeder Maler, der auf der Höhe der Zeit sein wollte, nach Abstraktion griff, schuf Willem de Kooning ab den 30er Jahren Bilder von Frauen, deren Körper durch wilde Pinselstriche geradezu zerfetzt wirken, übermalt, deformiert. Eine Ausstellung in der Villa Merkel spürt nun der Frage nach, inwieweit de Koonings Vorbild Folgen hatte, denn sie zeigt, dass das Prinzip der Zerstörung, Übermalung oder Zermalung von Körpern bis in unsere Gegenwart hinein Künstler immer wieder zu den unterschiedlichsten Kreationen anregte. Den Titel der Ausstellung gab ein Gemälde des Amerikaners Peter Saul: „Better than de Kooning“.
Der Einfall von de Kooning war grandios. Mit dicken, fast aggressiv auf die Leinwand aufgetragenen Pinselstrichen skizzierte er Frauenporträts und zerstörte sie zugleich wieder. So konnte er sich an das in der Kunst des 20. Jahrhunderts fast schon verpönte Motiv der menschlichen Figur wagen und schuf zugleich moderne Malerei. Für Andreas Baur, den Leiter der Villa Merkel, kommen in diesem Versuch ganz unterschiedliche Strömungen zum Vorschein. „Es wird ihm gelegentlich der Vorwurf gemacht, dass er ein schwieriges Verhältnis zu Frauen gehabt haben sollte und dass er einen Grund sucht zur Malerei, denn am Ende ist es reine Malerei.“
Wenn es um reine Malerei geht, dann könnte man durchaus zu der Meinung gelangen, dass Dieter Krieg de Koonings Prinzip zur Perfektion brachte, denn Kriegs Kopfbilder von 1981 in der Ausstellung bestehen auf den ersten Blick lediglich aus dicken, abstrakten Pinselstrichen, reiner Malerei eben.
Doch dann entdeckt man, dass Krieg auf einer der unteren Farbschichten – und diese Bilder bestehen aus unzähligen Schichten – offenbar Männergesichter gemalt hat. Mal blitzt noch eine Art Pupille durch, mal der Schatten eines Ohrs. Hier wurde also kräftig übermalt, sehr viel drastischer als bei de Kooning – und doch schuf Krieg etwas ganz Eigenständiges. So vereint Krieg in diesen Gemälden drei unterschiedliche Malstile: abstrakt-expressionistisch sind seine wilden dicken Pinselstriche, die der Blickfang der Bilder sind, illusionistisch fügt er in diesen Farbbrei Augen ein, und als Graffiti sind darüber die Ohren angedeutet – ein postmoderner Maler.
Dieser Stilmix findet sich auch bei anderen Künstlern, die hier in der Ausstellung gewissermaßen im Gefolge von de Kooning vorgestellt werden. Peter Saul zum Beispiel über- oder zermalte nach de Koonings Vorbild, aber nicht mit abstrakten expressiven wilden Strichen, sondern mit Comicelementen. „Better than de Kooning“ betitelte er sein Bild – etwas überheblich, allerdings wohl auch mit einem Schuss Selbstironie. Besser hätte er sein Bild nennen sollen: Im Gefolge von de Kooning. Marcus Weber, der die Ausstellung zusammen mit Andreas Baur konzipiert hat, ließ sich von Saul die Hintergründe erklären, das Gespräch wird im Katalog zu lesen sein, den es allerdings erst nach Ende der Ausstellung gibt. „Peter Saul hat in den 60er Jahren in Paris in einem Antiquariat ein Comicheft entdeckt und ist sofort ins Atelier gesprungen und hat begonnen, eine eigene Art von Pop Art zu entwickeln. Die besteht aus ironischer Verwendung von abstrakt-expressionistischer Malerei kombiniert mit Elementen des Comic, und das Neue ist, dass er mit diesen Elementen Geschichten erzählt.“ So wirbeln alsbald Comicfiguren wie Superman oder Cowboys über seine Bildflächen.
Sehr viel drastischer ging Maria Lassnig zu Werk. Sie kam von der informellen Malerei und zerlegte später auf ihren Bildern Figuren in lauter abstrakte Striche. Das ist für Andreas Baur keine Übermalung mehr, sondern die Zersetzung des Motivs Körper: „Das mag ein Stück weit auch geprägt sein durch Kriegserlebnisse, also desaströse Erfahrungen, aber auch dadurch, dass sie sich als Frau mit ihrer eigenen Körperlichkeit selbst zum Untersuchungsobjekt macht.“
Immer wilder wurde mit den Jahren der Stilmix. Michel Majerus schließlich bediente sich überall – in der Reklamewelt, den Comicstrips und der abstrakten Malerei – und wirbelte alles wie in einer Mischmaschine zusammen. So macht die Ausstellung deutlich, in welch unterschiedlichen Spielarten das Vorbild eines legendären Malers wirken kann. Vor allem aber auch, dass sich trotz aller abstrakten Strömungen des 20. Jahrhunderts das Interesse an der menschlichen Figur immer wieder durchsetzte – und sei es in ironischer Brechung.
Better than de Kooning. Villa Merkel, Esslingen bis 15.11. 2015. Dienstag 11-20 Uhr, Mittwoch bis Sonntag 11-18 Uhr