Fast fünfzig Jahre hatte Gerhard Richter in seiner Fotomaterialsammlung für künftige Gemälde Fotos aus dem KZ Birkenau aufbewahrt. Immer wieder hatte er diese Fotos künstlerisch verarbeiten wollen, doch ein Konzentrationslager, so befand Richter schließlich, könne man nicht abmalen. Das Resultat waren am Ende vier abstrakte Farbimpressionen. Der in Hamburg lebende Maler und Zeichner Robert Schneider hat sich über Jahrzehnte hinweg den großen Weltkatastrophen des 20. Jahrhunderts gewidmet – so etwa Auschwitz und Verdun, und kam zu einem ganz anderen Ergebnis.
Verdun Nr. 1, Kohle/Karton, 102,5x150cm © VG Bild-Kunst Bonn 2016
Schlachtfelder, Knochen über Knochen: In großen Kohlezeichnungen hat Schneider das festgehalten, was von der Jahrhundertschlacht Verdun übriggeblieben ist: verwüstete Erde, Relikte von Geschossen, Helme von Soldaten, die der Schlacht zum Opfer fielen, Stacheldrahtzäune – reale Relikte also, vor denen der Betrachter nicht in vage Assoziationen ausweichen kann wie vor Richters abstrakten Gemälden, die, wenn er sie nicht Birkenau betitelt hätte, ja nicht mehr als grandiose Farbimpressionen wären.
Im Unterschied zu Richter befasst sich Schneider intensiv mit den Orten und Phänomenen, denen er seine Bildzyklen widmet. Verdun, Auschwitz hat er aufgesucht, hat fotografiert, vor allem aber zahlreiche Skizzen angefertigt. In die Geschichte und Atmosphäre lebt er sich durch umfangreiche Lektüren (vor allem auch literarischer Texte) ein. In seinem Atelier entstehen aus all diesen Erlebnissen dann seine Bilder.
Aber auch Schneider zeigt nicht die ganze Realität, will sie nicht zeigen, weil sie, und darin stimmt er mit seinem Kollegen Richter überein, nicht darstellbar ist. Seine Zeichnungen wirken zwar wie realistische Bestandsaufnahmen, aber Schneider ist nicht ein Chronist des Kriegsgeschehens vor hundert Jahren, er zeichnet Bilder von Zerstörung. Ihm gelingt es, mit ausgewählten Motiven das Phänomen Vernichtung allgemein zu gestalten. Dazu gehört in erster Linie das Fehlen von Menschen – und das heißt, das Fehlen jeglichen Lebens. Man meint auf diesen Bildern einen Todeshauch vernehmen zu können. Da finden sich die Wurzeln abgestorbener Bäume: spitz und schwarz stecken sie noch im grauen Erdboden, doch ohne Aussicht auf neu treibendes Grün. Für andere Bilder hat Schneider die Nahaufnahme eines Gebeinhaufens gewählt. Von Gebäuden sind lediglich Mauerreste übrig, leere Räume, in denen einmal Leben geherrscht haben mag, die aber auf immer leblos bleiben werden.
Verdun Nr. 13, Kohle/Karton, 150×102,5cm © VG Bild-Kunst Bonn 2016
Stahlarmierungen stoßen in lockere Erde vor, bohren sich durch totes Geäst. Schneider hat sich zu diesen Bildern durch genaue historische Studien anhand von Fotografien sowie lange Aufenthalte am Ort des damaligen Geschehens inspirieren lassen. Das Ergebnis ist aber mehr als eine Dokumentation von Verdun. Der Betrachter dieser Bilder steht vor Bildsymbolen von Vernichtung. Schneider zeigt zerstörte Denkmäler, in denen nicht nur der Krieg und seine Verherrlichung in Zeiten des Krieges symbolisch eingefangen ist, sondern umfassender Zerstörungswille: Zerstörung, die die auf den Denkmälern dargestellten Personen befohlen haben, aber auch Zerstörung von Kulturdenkmälern, Vernichtung von Kultur.
Symbolisch aber ist auch die künstlerische Technik. Schneider wählte den Kohlestift als Zeichenmaterial – Kohle, entstanden durch abgestorbene Natur. Symbolisch ist auch die Farbe: Schwarz, Grau; weiß ist nur der Himmel.
Symbole sind diese Arbeiten zudem, weil Schneider seinen Ausgangspunkt für seine Zeichnungen zwar von Fotografien nahm, sich aber nicht sklavisch an deren Inhalte hielt. Schneider ist kein Dokumentarist, Schneider verdichtet, Schneider häuft und dramatisiert Relikte des Grauens: Stacheldraht gegen weißen Himmel – hier ist kein Entkommen möglich.
Dieselbe Technik wählte er für seinen Auschwitz-Zyklus, und auch diese Bilder basieren auf Fotos, sind aber hochstilisiert, konzentrieren den Blick auf Mauern, unüberwindlich, lichtlos, zukunftslos.
Schneider reflektiert mit seinen Arbeiten das 20. Jahrhundert. Am Beispiel Bitterfeld demonstrierte er das Ende des Realsozialismus – porträtiert aber nicht die „Helden der Arbeit“, sondern das, was deren Arbeit hinterlassen hat: Industriebrachen, diesmal in düsteren Gouachen – farbig, und doch farblos zugleich, Endzeitbilder.
Bunter und zugleich umso grausiger war sein Fischzyklus, in dem er den Tod durch die Nahrungsmittelindustrie darstellt: Kadaver in leuchtenden Farben, die nicht darüber hinweg täuschen, dass hier mechanisiertes Töten in Acrylfarben festgehalten wurde.
Am Beispiel „Öl“ zeigte er apokalyptische Bilder, auf denen das Vieh vor der industriellen Ölförderung flieht, auf denen der Himmel in giftig-gelben Strahlen Tod verkündet.
Schneider ist als Zeichner Realist und Symbolist zugleich – vor allem aber ist er ein grandioser Maler und Zeichner. Nur diese stupende Fähigkeit bewahrt den Betrachter davor, angesichts solcher Bilder in Verzweiflung oder abgrundtiefes Erschrecken zu verfallen. So grausig es klingen mag: Schneiders Bilder vom Tod in Verdun sind faszinierende ästhetische Gebilde. Aus Stacheldrahtzäunen werden feinste Linien im Raum,
noch die düsterste Kammer fasziniert durch die fulminanten Grauabstufungen, mit denen Schneider solche Schattenreiche gestaltet. Wenn man es nicht besser wüsste, dann könnte man meinen, vor Bildern einer reinen Fantasielandschaft zu stehen, allerdings einer Welt aus einem Alptraum, aus dem
Verdun Nr. 19, Kohle/Karton, 102,5x150cm © VG Bild-Kunst Bonn 2016
es kein Entrinnen gibt, die einen aber – wie es selbst schlimme Träume so an sich haben – doch faszinieren, und sei es mit der Faszination des Schreckens.
„Robert Schneider: Der Verdun-Zyklus“, Schloss Bonndorf bis 3.7.2016
Zu Robert Schneider findet sich auf Youtube ein Film von Horst Simschek und mir
Eine sehr präzise Charakterisierung des Werks von Robert Schneider. Form, Inhalt, Realitätsbezug und künstlerische Aussage werden m. E. sehr gut getroffen. Treffend auch die Differenz zu G. Richter und dessen Unvermögen, sich mit Themen dieser Art auseinandersetzen zu können.
Dass ich in weiten Teilen mit Ihrer Interpretation des Werkes Schneiders übereinstimme, belegt auch mein Video über Schneiders „Jahrhundertreflexion“ aus dem Jahre 2007: http://bilder-der-arbeit.de/Schneider/Video/Video_large.html.
Mit freundlichem Gruß, Klaus Türk