Der eine trat nicht selten wie ein Berserker auf und meinte, einen Schuss „Marktschreier“ könne ein Künstler gut brauchen: Gustave Courbet, der große Realist der französischen Malerei des 19. Jahrhunderts. Der andere hatte es finanziell nicht nötig, für seine Kunst Reklame zu machen, arbeitete eher im Hintergrund – und ist heute entsprechend wenig bekannt: Carl Schuch, auch er zählt zu den großen Realisten des 19. Jahrhunderts – und ließ sich, knapp dreißig Jahre jünger als Courbet, von dem berühmten französischen Kollegen inspirieren. Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser beiden so konträren Künstlermentalitäten lassen sich nun im Kunstmuseum Hohenkarpfen und dem Stadtmuseum Hüfingen studieren.
„Realismus und reine Malerei“ lautet der Untertitel dieser Ausstellung; gegensätzlichere Begriffe hätte man kaum wählen können, denn Realismus heißt, dem verpflichtet zu sein, was man vor Augen hat, der Welt der Gegenstände: Stillleben, Landschaften, Porträts – bevorzugte Motive früherer Epochen der Malerei. „Reine Malerei“ dagegen heißt: pures Farbgeschehen auf der Leinwand bis hin zur reinen Abstraktion – die große Erfindung des 20. Jahrhunderts.
Was die Motive betrifft, stehen beide Maler in der älteren Tradition. Schuch galt lange als Spezialist für Stillleben, Courbet engagierte sich in seiner Malerei für das alltägliche Leben ohne jegliche Idealisierung oder Stilisierung. Und man erkennt denn auch alles auf den Bildern dieser beiden Künstler auf den ersten Blick: Äpfel in einer Schale, Felsen, Flüsse, Waldlichtungen.
Doch das weiße Tischtuch, das Carl Schuch 1884 als Grundlage für sein Stillleben mit Äpfeln und Käsestücken schuf, ist streng genommen kein Stück Stoff, es ist ein Gewölk aus Weiß- und Grautönen, und in der weißen Fläche vor einer Quellhöhle, die Gustave Courbet 1866 malte, mag man zwar Schnee erkennen, wie es der Bildtitel verspricht, doch es ist reine Farbimpression.
Der Realismus, dem diese beiden Künstler huldigten, rührt von ihren Motiven her. Beide suchten die Landschaft auf, beide bezeichneten ihre Malorte gelegentlich sehr genau. Courbet porträtiert die Grotte Sarrazine, Schuch ein Sägewerk am Saut du Doubs.
Doch was beide aus diesen Motiven auf der Leinwand machten, ist keineswegs das, was man unter einem exakten realitätsgetreuen Abbild verstehen sollte. Courbets Leinwände gleichen nicht selten wahren Schlachtfeldern, auf denen die Farben mit Pinsel und Spachtel aufgetragen sind, Schuchs Bilder überraschen mit einer erstaunlich eingeschränkten Farbpalette. Dass sich bei beiden dennoch im Auge des Betrachters die Farbkompositionen zu Gegenständen wie Flussgeröll oder Kalkfelsen formieren, grenzt an ein Wunder. Ständig ist man genötigt, vor diesen Bildern den Fokus zu wechseln.
Aus der Nähe betrachtet, nimmt man vor allem raffinierte ockerfarbene Abstufungen auf der Leinwand wahr, fasst man die im Titel angegebenen Motive in den Blick, erkennt man in ihnen große Kiesel in einem Flussbett. Beide Künstler fügen Nah- und Fernsicht zur Einheit zusammen.
Vor allem Schuch schuf Bilder, auf denen er den Betrachter ständig in die Irre führt: Perspektiven wollen nicht zusammen passen, was auf den ersten Blick wie eine Öffnung in ein düsteres Zimmer wirkt, entpuppt sich beim zweiten als bloße Wand und diese wiederum beim dritten Blick als reine Farbimpression. Eine solche Malerei weist bereits voraus ins 20. Jahrhundert!
Es scheint, als habe Schuch in dem älteren Kollegen aus Frankreich das kongeniale Vorbild entdeckt, er reiste ihm sogar nach, bzw. den Bildern, die Courbet im Tal des Doubs gemalt hatte. Es reichte Schuch nicht, die Bilder zu sehen, er wollte in der Natur nachvollziehen, was sich dort Courbets Auge dargeboten hatte. Was er dann aber auf die Leinwand brachte, unterschied sich von Courbets Gemälden gelegentlich radikal. Mehr noch als auf den Farbschlachtfeldern Courbets verselbstständigt sich auf seinen Naturbildern die Farbpalette. Suchte Courbet nach den idealen Farben, um den Eindruck einer Landschaft nachvollziehbar zu machen, schaute sich Schuch nach den Landschaften um, die seinen Idealvorstellungen einer Farbpalette entgegenkamen. Fand er sie nicht, ließ er das Malen sein. Entsprach sie seinen Vorstellungen, dann entstandenen Bilder, auf denen er mit traumwandlerischer Sicherheit unzählige Grautöne nebeneinander setzte. Das evoziert den Eindruck von Holzschindeln an einer Hausfassade, die von Wind und Wetter gegerbt wurden, ist aber streng genommen lediglich eine Aneinanderreihung einzelner Pinselstriche.
Auf solchen Meisterwerken verschmelzen gewissermaßen die alten Traditionen des 19. Jahrhunderts mit den erst noch bevorstehenden Tendenzen des 20. Das ist realistisches Landschaftsporträt und zugleich reine Malerei. „Von Courbet zu Schuch“, so der Titel der Ausstellung, scheint es nur ein kleiner Schritt zu sein – von einem Vorbild zu seinem Nacheiferer; in Wirklichkeit befindet man sich auf diesem Weg (und in dieser Ausstellung) auf der Scheidelinie zwischen zwei künstlerischen Epochen.
„Von Courbet zu Schuch. Realismus und reine Malerei“. Kunstmuseum Hohenkarpfen, 78595 Hausen ob Verena, und Stadtmuseum 78183 Hüfingen, Nikolausgässle 1, bis 19.6.2016. Katalog Belser Verlag, 128 Seiten, 24,99 Euro