Als die Spanier unter Hernán Cortés am 13. August 1551 die aztekische Hauptstadt Tenochtitlan endgültig einnahmen, stand von ihr kaum ein Haus mehr, und die aztekische Hochkultur war ausgelöscht, nicht zuletzt, weil Cortés befahl, auf den Trümmern der Stadt die Hauptstadt des neuen Staates Mexiko zu errichten, Mexiko-Stadt. Damit überlagerte er die alte Kulturmetropole durch die von den Spaniern neu gegründete christliche Stadt. Was bei anderen Hochkultivierten wie dem alten Ägypten vor Jahrtausenden geschah, liegt hier gerade einmal fünfhundert Jahre zurück, und trotzdem ist die Welt der Azteken ähnlich rätselhaft wie die der Ägypter, wie eine Ausstellung im Stuttgarter Lindenmuseum zeigt.
Die Statue ist zwar nur 23 Zentimeter hoch, aber auch auf uns heute von immenser Ausstrahlung. Das liegt nicht nur am Material, dem geheimnisvoll schimmernden Grünstein, und den Einlegearbeiten aus Gold und Koralle. Es liegt vielleicht daran, dass sie den Gott Quetzalcoatl symbolisiert, einen der wichtigsten Götter der Azteken. Doch die Figur beinhaltet noch weit mehr, und das macht die eigentliche Faszination aus. Auf dem Rücken findet sich eine Schlange und weist die Figur als Schöpfergott aus, daneben finden sich aber auch Datumssymbole, vielleicht Tage der Verehrung, sowie eine Sonnenscheibe, die die Figur zudem als Sonnengott ausweist.
Während sich andere Kulturen meist mit einer direkten symbolischen Zuordnung begnügen – Gott des Kriegs, des Meeres usw.,- scheinen die Azteken eine Vorliebe für ganze Symbolkomplexe gehabt zu haben. Am eindrucksvollsten sieht man das an der Sonnenscheibe. Eine grandiose 3D-Animation blättert die verschiedenen Symbolebenen und -formen auf: Anspielungen an Götter, Jahresabläufe, Kalendarien, deren die Azteken gleich zwei hatten, die alle 52 Jahre zusammentrafen, wofür es natürlich auch eine symbolische Steinskulptur gibt, die ein Bündel aus 52 Schilfrohren darstellt.
Diese Veranschaulichung komplexer Symbolwelten führt die Ausstellung mustergültig weiter. An den Wänden sind einzelne Symbole aufgemalt – die erwähnte Schlange, Symbol für Fruchtbarkeit und Erneuerung, der Kojote als Symbol des Kriegs, der Hund galt als Begleiter der Seele ins Jenseits, der Jaguar als Krieger und Herrscher.
Mictlantecuhtli © D.R. Archivo Digital de las Colecciones del Museo Nacional de Antropología, Secretaría de Cultura – INAH
So erfährt man gewissermaßen das Vokabular der aztekischen Symbolwelten, das man dann in subtilen Kombinationen in den großen Götterskulpturen wiederfindet, wie bei dem Schrecken erregenden Gott der Unterwelt und der Welt der Toten Mictlantecuhtli, dessen aus dem Bauch hängende Leber auf einen „sakralen Atem“ verweist.
Natürlich gibt es auch einfachere Symbole, meist in Form von Steinskulpturen. Da darf natürlich der Mais nicht fehlen, das Hauptnahrungsmittel der Azteken; eine Göttin hält zwei Kolben stolz vor der Brust.
Selbst der Wasserfloh war von Bedeutung, er zählte zu den Tributleistungen der unterworfenen Völker, Tribute, die von Nahrungsmitteln bis Menschenopfern reichten und in rituellen Aufzügen überreicht wurden, denn alles im Leben der Azteken war von Ritualen geprägt, und die Kriege, die ihnen die Tribute einbrachten, wurden genau zu diesem Zweck geführt, nicht zur Eingliederung eines neuen Gebietes ins eigene Reich.
Und die Azteken waren erfolgreiche Krieger, was sich nicht zuletzt im Reichtum der herrschenden Schichten ausdrückte, und der wiederum zeigt sich an grandiosen Schmuckstücken, an scharfen Messern und kostbaren Spiegeln aus Obsidian, einer Art vulkanisches Glas.
Federschild Mäander und Sonne © Landesmuseum Württemberg, Foto: Hendrik Zwietasch
Die Handwerkskunst der Azteken war überwältigend, vor allem bei den prachtvollen Federschilden, die nur von den Vornehmen getragen werden durften. Lediglich vier haben sich weltweit erhalten, zwei davon befinden sich im Württembergischen Landesmuseum und jetzt im Lindenmuseum in der Ausstellung.
Alle Lebensbereiche sind in der Präsentation dokumentiert, auch die Bücher, die sogenannten Codices, die nur aus Bilderschriften bestehen. Der Grund dafür liegt in der ethnischen und auch sprachlichen Vielfalt dieser Kultur. Das Aztekenreich setzte sich aus vielen ethnischen Staatswesen zusammen, an deren Spitze jeweils ein Dynast stand. Die mächtigste und auch größte Stadt dieser Welt war Tenochtitlan mit rund 250 000 Einwohnern und einer gewaltigen Tempelanlage im Zentrum.
So kommt man beim Gang durch diese brillant konzipierte und anschaulich präsentierte Ausstellung aus dem Staunen nicht heraus, wie subtil bis ins letzte Detail die Vorstellungswelt dieser Azteken war, und konstatiert mit Entsetzen, was die Spanier da binnen weniger Jahre zunichte gemacht haben.
„Azteken“, Lindenmuseum Stuttgart bis 16.8.2020. Katalog 360 Seiten, 29,90 Euro