Skulpturen haben mehr als nur eine Perspektive, sie sind Kunstwerke im Raum, man kann die Objekte umrunden – und erhält meist unterschiedliche Ansichten. Das ist bei dem Stahlbildhauer Jörg Bach nicht anders, und doch ist sein Werk ungleich „vielseitiger“ als die meisten vergleichbaren Stahlskulpturen. Vor Bachs Skulpturen muss sich der Betrachter wenige Zentimeter nach rechts oder links bewegen, und schon bietet ihm die Arbeit ein völlig anderes Bild. Mehr noch: die Plastiken scheinen sich, während sich der Betrachter vor ihnen bewegt, unablässig zu verändern. Bach arbeitet zwar wie viele andere Stahlbildhauer mit viereckigen Stahlblechen, die er für den weiteren Gebrauch zurechtschneidet, doch von den Formen dieser Ausgangsmaterialien ist bei den fertigen Arbeiten kaum mehr etwas zu sehen, allenfalls zu ahnen.
Bach gelingt eine Quadratur des Kreises: Aus den zweidimensionalen Stahlplatten gewinnt er organisch wirkende Gebilde mit zahlreichen Rundungen – das ist das erste Paradox seiner Arbeiten. Bach schweißt die Platten meist zu Vier- oder Dreikantrohren zusammen. Dabei muss er bereits klare Vorstellungen davon haben, wie die Arbeit später aussehen soll;, sein Vorgehen ist dem eines Schneiders mit Schnittmustern vergleichbar.
Die Plastiken sind hohl, dadurch sind sie vergleichsweise leicht, wirken aber auf Grund ihres Volumens zugleich schwer – dies das zweite Paradox. Durch erhebliche Kraftaufwendung biegt und verdreht er diese Vierkantrohre, bis ihnen alles Eckige abhanden kommt. Das Resultat sind scheinbar endlose Verknotungen, Knäuelungen – und das aus einem Material, das von Natur aus hart ist, spröde – dies das dritte Paradox.
Diese Arbeiten verleiten nicht zur ruhigen Betrachtung, man fühlt sich vor ihnen geradezu genötigt, sie zu umkreisen, und genau das strebt Jörg Bach auch an.
Bald weiß man als Betrachter nicht mehr, wer oder was sich hier bewegt: Ist es der Körper des Betrachters oder ist es die auf den ersten Blick so schwer wirkende Stahlplastik. Die Auseinandersetzung mit Bachs Arbeiten ist voller Dynamik. Letztlich ergänzen sich hier die Bewegungen: die reale des Betrachters und die scheinbare, nur im Auge des Betrachters stattfindende der Plastik. Sind Skulpturen nicht selten fest in sich ruhend, so scheinen sich die von Jörg Bach in dauernder Bewegung zu befinden.
Bach verwendet häufig rostenden Stahl. Nach kurzer Zeit ist die Arbeit mit einer matten braunen Oberfläche überzogen, die den Eindruck erweckt, als liege sie hier schon seit Menschengedenken, von einer fernen Zivilisation riesiger, kräftiger Wesen der Nachwelt hinterlassen.
Noch sehr viel „dynamischer“ wirken die Arbeiten, deren Oberfläche er bemalt und deren Kanten er dann durch Abreiben wieder von der Farbe befreit. Da verraten diese Plastiken ein weiteres Geheimnis: Sie bestehen streng genommen aus lauter dicken Linien. Bachs Stahlplastiken sind genau betrachtet Zeichnungen im Raum, Liniengeflechte, die keinen Anfang und kein Ende zu kennen scheinen. Dieses unendliche Ineinanderübergehen der Formen macht er auch auf „Graphiken“ deutlich – Frottagen, Abrieben seiner Plastiken, die nicht selten in ihrem Ineinander der Formen noch rätselhafter wirken als die Plastiken selbst, von denen sie abgenommen wurden.
Geradezu dramatisch wirken Bachs Arbeiten aus rostfreiem Edelstahl. Bach poliert die Oberfläche der in sich gedrehten, verknoteten Gebilde, sie wird zum Spiegel – einem Spiegel, der in alle Richtungen wirksam wird. So nehmen diese Plastiken die Umwelt mit in das Stahlgebilde hinein – aber stets fragmentiert, weil Bach so gut wie nie mit planen Flächen arbeitet, sondern alles stets in Windungen und Biegungen bricht. So finden sich Teile des Himmels, die Wolken, Fragmente des Bodens – und natürlich auch Partikel dessen, der diese Plastiken umrundet, des Betrachters. Bei jeder Bewegung um diese Plastiken beginnen sie zu schwingen, sich in ein Kaleidoskop unterschiedlichster Bilder zu entwickeln, und binnen kurzem fragt man sich angesichts dieser Arbeiten: Was ist vom Bildhauer geformte Plastik, was ist Spiegelung? Was ist Oberfläche, was Umraum, was ist innen, was außen? Diese Plastiken greifen weit über sich hinaus, sie inkorporieren alle Phänomene, die um sie herum existieren, sie werden, selbst wenn sie nur so groß sind wie eine menschliche Faust, im Auge des Betrachters gigantisch groß.
Wenn zum Wesen von Stahl das in sich Ruhende, Feste gehört, dann hat Bach in seinen Arbeiten sein Material transzendiert: Seine Arbeiten sind in sich ruhend und dramatisch bewegt zugleich – ein Abenteuer für das Auge.
„Jörg Bach. Skulpturen. Frottagen“ bis 7.2.2016. Galerie Werner Wohlhüter. Kreuzstraße 12, 88637 Leibertingen
Horst Simschek und ich haben auf Youtube ein Künstlerporträt von Jörg Bach veröffentlicht