Archiv für den Monat: Oktober 2017

Zwischen Babel und Gotik – Künstler bauen sich einen Turm

Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis in den Himmel! So wollen wir uns einen Namen machen, damit wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen.“ Mit diesen Sätzen beginnt eine der folgenschwersten Begebenheiten in der Bibel. Aus Angst, die Menschen könnten übermächtig werden, zerstörte Gott das Werk, zerstreute sie in alle Richtungen und verwirrte ihre Sprache. Der Turm gilt als Symbol des Himmelstrebenden, aber auch der Hybris und des Scheiterns – und doch hört in allen Kulturen das Streben nach oben nicht auf, vom höchsten Kirchturm der Welt in Ulm bis zum – derzeit! – höchsten Bauwerk der Erde in Dubai. Verglichen damit ist der Turm, der jetzt in Rottweil vollendet wurde, in seinen Dimensionen harmlos – und doch zugleich gigantisch bis gigantomanisch, dient er doch einzig dem Test des nach oben Fahrens, der Fahrstühle, damit sie in den immer höher werdenden Gebäuden Einsatz finden können. Dass auch Künstler von diesem Menschheitstraum nicht unbehelligt blieben, zeigt eine Ausstellung im Rottweiler Dominikanermuseum und – natürlich – im Testturm vor den Toren der Stadt.

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Wider alle Umstände: Engelbert Humperdincks Hänsel und Gretel an der Oper Stuttgart

 

Krasser geht es kaum mehr: Weil die Familie zu wenig zu essen hat, werden die beiden Kinder im Wald ausgesetzt, weil sonst Kinder und Eltern verhungern würden. Als Engelbert Humperdinck diesen Stoff in eine Märchenoper verwandelte, milderte er die Grausamkeit; bei ihm werden die Kinder in den Wald geschickt, um Beeren zu sammeln, wobei sie sich dann verirren und beim Knusperhäuschen der Hexe landen. In beiden Fällen sind Armut und Hunger die Motive des Geschehens, und so suchte Kirill Serebrennikov für seine Stuttgarter Inszenierung eines der am stärksten von Armut und Hunger heimgesuchten Gebiete dieser Welt auf. Er reiste nach Ruanda und drehte dort einen Märchenfilm nach den Gebrüdern Grimm und nach Humperdinck.

 Diana Haller (Hänsel), Esther Dierkes (Gretel), Kinderchor der Oper Stuttgart, auf dem Bildschirm: Kirill Serebrennikov (Filmregisseur), im Hintergrund: Georg Fritzsch (Musikalische Leitung), Staatsorchester Stuttgart
Foto: Thomas Aurin

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Lebens-Kunst: Die Umwertung der Kunstwerte durch Jacob Dahlgren

Es war die vielleicht größte und folgenreichste Revolution in der Kunstgeschichte: Vor 100 Jahren montierte Marcel Duchamps ein ganz gewöhnliches Fahrrad auf einen Hocker und erklärte es zum Kunstwerk. Der Alltag zog in die Welt der Kunst ein, die Trennung zwischen Leben und Kunst war aufgehoben, alles konnte Kunst werden. Die Dadaisten machten daraus geradezu ein Spiel. In diese historische Reihe gehört auch der Schwede Jacob Ivar Dahlgren. Er holt sich die Materialien zu seinen Arbeiten aus dem Baumarkt oder auch aus seinem Kleiderschrank und mit ihnen auch die Inspirationen und zeigt zugleich, dass man Duchamps revolutionäre Tat noch weiterführen kann, was jetzt im Museum Ritter in Waldenbuch nachvollzogen werden kann.

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Eine Synthese von realer Welt und Abstraktion. Andrea Eitel und Volker Blumkowski im Kunstverein Böblingen

Eine rätselhafte Kombination von realistischer Malerei mit abstrakten Bildelementen – das macht das Wesen dessen aus, was seit rund zwanzig Jahren unter dem Begriff der Neuen Leipziger Schule den Kunstmarkt beherrscht, wobei die Künstler, die gemeinhin unter diesem Begriff subsumiert werden – Neo Rauch, Tim Eitel, Katrin Heichel – eine Zugehörigkeit zu einer solchen „Schule“ bestreiten; zu unterschiedlich sind denn auch ihre Arbeiten, auch wenn sich die Kombination dieser konträren Bildsprachen immer wieder in ihrem Werk findet. Dass eine solche Kombination keine neue Erfindung ist, dass schon Jahrzehnte, ehe ein Neo Rauch seinen heutigen Stil gefunden hatte, Künstler mit diesen Bildsprachen spielten, zeigt eine Ausstellung im Kunstverein Böblingen.

 

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Zwischen theologischer Disputation und Realpolitik: Die Reformation in Württemberg

Ein Augustinermönch brachte mit 95 theologischen Thesen den Stein ins Rollen und schuf damit ein Schisma, das nur noch der Trennung der orthodoxen von der katholischen Kirche 1054 vergleichbar ist, wenn überhaupt, denn zu den Folgen von Luthers Streit mit dem Papst gehörte immerhin auch der 30jährige Krieg, dem im 17. Jahrhundert ein Drittel der deutschen Bevölkerung zum Opfer fiel, ohne Luther hätte die politische Geschichte in Deutschland anders ausgesehen, wäre die Entwicklung der deutschen Sprache anders verlaufen. Eine Ausstellung im Württembergischen Kunstverein in Stuttgart macht plastisch deutlich, welche Dimensionen diese Tat eines Einzelnen hatte.

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