Es brauchte nur eine große abendfüllende Choreographie, und der Argentinier Demis Volpi war in das Amt des Hauschoreographen am Ballett Stuttgart katapultiert. Noch während des Premierenbeifalls nach der Uraufführung von Krabat nach dem Roman von Otfried Preußler am 22. März 2013 überraschte Ballettdirektor Reid Anderson das Publikum mit dieser seiner
Entscheidung; Volpi, damals gerade einmal siebenundzwanzig, wurde neben Marco Goecke der zweite Mann in diesem Amt. Doch es bedurfte nur einer zweiten abendfüllenden Choreographie – Salome -, und Volpi war diesen Posten auch schon wieder los. Anderson hätte ihm das Amt wohl schon nach der Premiere von diesem Ballett entzogen, wollte aber wohl Volpi nicht damit belasten, der für die Oper Stuttgart Benjamin Brittens Oper Tod in Venedig inszenieren sollte – was er mit überwältigendem Erfolg auch tat.
Anderson begründet seine Entscheidung damit, Volpis Begabung liege eher im Geschichtenerzählen und Theatermachen als in der Choreographie – eine seltsame Begründung, denn die Ernennung Volpis zum Hauschoreographen erfolgte nach einer Ballettversion eines Romans, und Romane erzählen per definitionem Geschichten. Zudem hatte Volpi für die Geschichte eindringliche, durchaus vom Tanz her bestimmte Bilder gefunden. Andersons Entscheidung, ihn wegen dieser Arbeit zum Hauschoreographen zu ernennen, war mehr als plausibel. Geschichtenerzählen war also kein Hindernis – und Volpi bekannte sich kurz danach ausdrücklich dazu.
Zugegeben, Volpis Salome glänzt nicht mit großen Tanzszenen, es ist eine Choreographie der bedeutungsvollen Gesten und der eindrucksvollen Bilder, auch wenn diese gelegentlich ein wenig allzu ästhetisch ausfielen – doch das ließe sich von der jungen Choreographin Katarzyna Kozielska auch sagen, etwa in ihrem Ballett Neurons; von ihr hält Anderson offenbar sehr viel. Er scheint übrigens eher allein mit seinem Urteil über Volpis Salome, denn die Arbeit wurde für den Tanzpreis Benois de la Danse nominiert. Außerdem brillierte Volpi nicht nur in der Sparte Handlungsballett, mit Aftermath gelang ihm ein dreißigminütiges Meisterwerk, in dem er mit rein tänzerischen Mitteln das Thema Individuum und Masse auslotet.
Mit Krabat schuf er einen Publikumshit und erhielt dafür den Deutschen Tanzpreis Zukunft. Die Rolle des Teufels in seiner Version von Strawinskys Geschichte vom Soldaten brachte der Ersten Solistin am Stuttgarter Ballett, Alicia Amatriain, den Deutschen Theaterpreis Faust ein. Das alles in der kurzen Zeit seit Krabat.
Seltsam ist außerdem, dass Anderson, der mit dem Stuttgarter Ballett eine Compagnie leitet, die vor allem durch die erzählerischen Handlungsballette eines John Cranko bekannt ist, sich nun gegen das Geschichtenerzählen wendet.
An Aufträgen dürfte es Volpi nicht mangeln, er ist ein weltweit angesehener und gefragter Choreograph, im Stuttgarter Ballett wird er fehlen – und sollte er demnächst bei Eric Gauthiers inzwischen sehr renommierter Tanztruppe am Stuttgarter Theaterhaus eine erfolgreiche Choreographie herausbringen, wie es vor ihm schon ein anderer Hauschoreograph des Stuttgarter Balletts getan hatte, dann wäre es pikant.